Als im Archivpark noch ein Schlösschen stand

25.5.2017, 12:07 Uhr
Das erste, heimelig-bescheidene Vereinshaus der Gesellschaft „Colleg“, aufgenommen im Jahr 1900.

© Foto: Verlag der Blätter für Architektur und Kunsthandwerk Das erste, heimelig-bescheidene Vereinshaus der Gesellschaft „Colleg“, aufgenommen im Jahr 1900.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging es in den Gärten hinter der Veste noch gemütlich zu. Zwar waren die altstadtnahen Bereiche schon dichter bevölkert, doch der große Zustrom, wie
ihn die Südstadt seinerzeit erlebte, war noch nicht angekommen. Kleine Wohnhäuser, Villen und weitläufige Gärten prägten das Bild. Letztere gaben dem Stadtteil seinen Namen.

Die Gesellschaft "Colleg" ging auf einen Zusammenschluss Nürnberger Kaufleute zurück, der sich seit 1781 zum geselligen Beisammensein in Biergärten, Cafés und Wirtshäusern traf. Am östlichen Rand des heutigen Friedrich-Ebert-Platzes erwarb der Verein 1874 ein großes Gartengrundstück, das seitdem den Namen "Colleggarten" trägt.

108 Jahre später ist von alledem nur der Park geblieben, der aber nun allen Erholungsuchenden offensteht.

108 Jahre später ist von alledem nur der Park geblieben, der aber nun allen Erholungsuchenden offensteht. © Sebastian Gulden

Dort ließen sich die "Collegianer" ihr Vereinshaus bauen. Abseits der Straße ließ es sich im kühlenden Schatten hoher Laubbäume bei einem Tässchen Kaffee trefflich schwatzen, schwadronieren oder einfach die Ruhe und den Duft der Blüten genießen. Einen "Coffee to go" im schnöden Pappbecher mitten im Abgasqualm der Bucher Straße in sich hineinzukippen, das wäre für die Collegianer nie infrage gekommen!

Um 1900 genügten die Räumlichkeiten den Ansprüchen der Gesellschaft nicht mehr – ein Neubau musste her. Mit der Planung beauftragte der Verein niemand Geringeren als Emanuel von Seidl (1856–1919).

Das erste, heimelig-bescheidene Vereinshaus der Gesellschaft „Colleg“, aufgenommen im Jahr 1900.

Das erste, heimelig-bescheidene Vereinshaus der Gesellschaft „Colleg“, aufgenommen im Jahr 1900. © unbekannt

Der Münchner Architekt hatte sich mit dem Gärtnerplatztheater in seiner Heimatstadt und zahlreichen Villen einen Namen gemacht. In Nürnberg schuf Seidl die Villen Burgschmietstraße 10 und Kontumazgarten 9—11.

Beim Gesellschaftshaus nutzte der Architekt die Ecklage an der Einmündung der Archiv- in die Bucher Straße: Dort errichtete er eine Rotunde auf ovalem Grundriss, an die sich
im Süden und Osten Seitenflügel anschlossen. Dadurch gab Seidl der Platnersanlage nach Osten einen krönenden, schlossartigen Abschluss.

Zum Colleggarten hin entstand eine Gartenterrasse, die vom Lärm der Straßen abgeschirmt war. Neu war die Idee nicht; möglicherweise hatte sich Seidl von den Bauten des Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach und der Villa Kohn in der Campestraße inspirieren lassen.

Die Fassaden und Innenräume versah er mit Schmuck im Jugendstil und im Neubarock; in den beiden mit Stuck dekorierten Sälen und dem Billardzimmer ließen es sich die Vereinsmitglieder und ihre Gäste im Schein edler Kristalllüster gut gehen.

Der große Saal des neuen Gesellschaftshauses verströmte erhabene Festlichkeit.

Der große Saal des neuen Gesellschaftshauses verströmte erhabene Festlichkeit. © Verlag der Blätter für Architektur und Kunsthandwerk

Am 2. Januar 1945 schlugen Brand- und Sprengbomben rund um die Bucher Straße ein. Auch das Haus der Gesellschaft "Colleg" wurde getroffen. Teile des Gebäudes – darunter
die Rotunde – brannten aus; der Südflügel hielt stand.

Allein, dem Verein fehlten die Mittel, das Haus wiederaufzubauen. 1956 kam das bittere Ende: Die Ruine des stolzen Colleg-gebäudes wurde abgebrochen; die Baumriesen, die es säumten, wurden abgeholzt. Die Gesellschaft "Colleg" selbst löste sich auf. Geblieben sind nur alte Fotografien und der Name des Colleggartens.

Doch auch dieser droht zugunsten der jüngeren Bezeichnung "Archivpark" aus dem kollektiven Gedächtnis Nürnbergs zu verschwinden. Immerhin, ein Hort der Erholung, wo sich in unseren Tagen jedermann zum Picknicken auf die Wiese fläzen kann und Kinder unbeschwert umhertollen dürfen, ist der Colleggarten geblieben.

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