Wachsende Inzidenzzahl

Am Limit: Die Arbeitsbelastung steigt auch im Rettungsdienst

15.11.2021, 05:30 Uhr
Am Limit: Die steigenden Inzidenzen belasten nicht nur das Klinikpersonal, auch die Rettungsdienste arbeiten am Anschlag. Patienten und Helfer müssen weitere Strecken mit dem Rettungswagen ins Umland in Kauf nehmen, weil hiesige Kliniken immer öfter ein Aufnahme-Stopp verhängen.

© Nicolas Armer, NNZ Am Limit: Die steigenden Inzidenzen belasten nicht nur das Klinikpersonal, auch die Rettungsdienste arbeiten am Anschlag. Patienten und Helfer müssen weitere Strecken mit dem Rettungswagen ins Umland in Kauf nehmen, weil hiesige Kliniken immer öfter ein Aufnahme-Stopp verhängen.

In den Rettungswachen herrscht Alarmstimmung: Die angespannte Lage in den Kliniken - aufgrund der steigenden Zahl von Covid-Patienten - sorgt auch bei Rettungskräften für enormen Druck. Die Helferinnen und Helfer geraten an den Rand der Belastbarkeit, Patienten müssen teils deutlich längere Fahrten im Rettungswagen hinnehmen, bis sie eine Klinik erreichen, die sie aufnimmt. Bayern hat nun den dritten Katastrophenfall ausgerufen seit Ausbruch der Pandemie im März 2020.

Eigentlich sind Notärzte und Rettungsdienste in Nürnberg und Umland gut vernetzt. In Nürnberg hat die Integrierte Leitstelle (ILS) an der Feuerwache 4 ihren Standort. Die Disponenten nutzen dazu das Internetportal Ivena; das Programm zeigt in Echtzeit, welche Krankenhäuser im Großraum noch Kapazitäten haben. Leuchtet eine Klinik rot auf, ist sie voll, sie meldet sich ab. Der Disponent lotst den RTW auf der Straße mit dem Patienten zu einem benachbarten Krankenhaus. Derzeit aber melden sich immer öfter Kliniken ab, sehr viele auch gleichzeitig, weil sie keine Kapazitäten mehr haben. "Die Lage ist sehr angespannt. Wir haben vermehrt Probleme, die Patienten unterzubringen", sagt Thomas Löhr, stellvertretender ILS-Leiter.

Mit dem Patienten bis nach Sulzbach-Rosenberg

Zwei bis drei Stunden kann es dauern, bis ein Patient in einer Klinik aufgenommen wird, heißt es bei der Johanniter-Unfallhilfe in Nürnberg. In normalen Zeiten, wenn die Inzidenzen niedrig sind, ist eine Stunde schon viel. Es sind jetzt aber keine normalen Zeiten. Patienten aus Nürnberg müssen nach Altdorf, Sulzbach-Rosenberg, Neustadt/Aisch oder Dinkelsbühl transportiert werden, weil Kliniken in Nürnberg, Fürth, Erlangen dicht sind. Klar ist aber auch, dass neben dem Zuwachs an Covid-Patienten, auch Menschen mit beispielsweise lebensbedrohlichen Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Hirnblutungen weiterhin die volle medizinische Aufmerksamkeit benötigen. "Wenn Kliniken einen Aufnahme-Stopp verhängen, können wir mit Zwang belegen lassen - da kann sich eine Klinik abmelden wie sie will, wenn ein Patient akut Hilfe benötigt", sagt Philipp Tschugg, Wachleiter bei den Nürnberger Johannitern.

Es kostet auch deutlich mehr Zeit als sonst, mit ILS und Klinik zu klären, wo der Patient aufgenommen werden kann. Fährt ein Rettungsteam aus Nürnberg dann den weiten Weg ins Umland, ist dieses Team und sein Rettungswagen gebunden und fehlt in der Stadt. Das wiederum sorgt für eine Mehrbelastung der verbliebenen Rettungskräfte in der Stadt. Pausen fallen aus, mehr und mehr Überstunden fallen an, zählt Tschugg auf. "Viele sehen die eigene Rettungswache nur noch zu Dienstbeginn und Dienstende." Hinzu kommt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem in dieser Jahreszeit selbst auch mal erkranken und ausfallen.

Ärger über Lappalien nach einem Notruf

Zeit im Dienst geht auch verloren, wenn die Helfer sich schon bei einem Covid-Verdachtsfall ihre spezielle Schutzausrüstung anziehen und später wieder ausziehen müssen. Nach so einem Transport muss der Rettungswagen überdies gründlich desinfiziert werden. Da kommen pro Fahrzeug-Hygiene locker 20 Minuten zusammen. "Wenn über den Tag verteilt mehrere RTW davon betroffen sind, summiert sich das. Das erschwert den Dienst ungemein", beschreibt Bernhard Strobl die aktuelle Situation.

Der stellvertretende Rettungsdienstleiter des Arbeiter-Samariter-Bundes Nürnberg (ASB) und sein Kollege Philipp Tschugg von den Johannitern ärgern sich besonders in dieser angespannten Lage über Einsätze, die sich dann auch noch als Lappalien herausstellen: "Wir werden immer öfter zu Einsätzen gerufen, die keine Notfälle sind. Die Schwelle, den Notruf zu wählen, sinkt immer weiter", kritisiert Strobl. "Es ist auch frustrierend, wenn wir dann Patienten mit vergleichsweise weniger schweren Leiden wie eine Kopfplatzwunde mehrere Kilometer in Umland fahren müssen", ergänzt Tschugg.

Katastrophenfall: Enger Abstimmung unter Kliniken

Auffallend findet Strobl, dass die Rettungskräfte beim ersten und zweiten Lockdown kaum die üblichen Schnapsleichen versorgen mussten - Lokale, Clubs und Discos waren geschlossen. "Es gab nur ganz wenig alkoholisierte Patienten", sagt er. Doch seit den Lockerungen hielten auch diese Patienten die Rettungskräfte wieder auf Trab. Ob ein neuer Lockdown kommt, ist fraglich. Mit einer Entlastung für die Helfer ist in dieser Hinsicht derzeit nicht zu rechnen.

Bringt der aktuelle, bayernweit ausgerufene dritte Katastrophenfall Entlastung für die Einsatzkräfte? Darin sind sich die Befragten auch einig: fürs Erste nicht. Beim K-Fall geht es primär um eine bessere Organisation, um das Gesundheitswesen aufgrund der explodierenden Zahlen durch Corona-Infektionen nicht weiter zu belasten. Doch auf den zweiten Blick schon. Denn ein ärztlicher Leiter hat nun alle Krankenhäuser im Blick und koordiniert die Abstimmung unter den Kliniken. Wächst der Bedarf an Betten, könnten auch bereits stillgelegte Kliniken hochgefahren oder Lazarette eingerichtet werden. Bleibt nur die Frage: Woher kommt das Personal?

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