Tour durch die Baugeschichte
Der Jugendstil der Nürnberger Oper bleibt verloren
18.12.2021, 13:57 UhrJeder kennt es, jeder liebt es, doch nur ein kleiner Teil kennt seine inneren Werte: das Nürnberger Opernhaus. Dem wollen wir Abhilfe schaffen. In unserer vierteiligen Serie werden Sie außerdem Teile des gigantischen Hauses sehen, die sonst nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Gesicht bekommen. Heute setzen wir unsere Tour durch den Zuschauerbereich fort.
Wer im öffentlichen Bereich des Opernhauses über den ersten Rang hinaus oder hinunter zum U-Bahnhof oder der Tiefgarage will, nimmt eines der vier großzügigen Gästetreppenhäuser hinter der Ostfassade. Auch diese mussten nach dem von Adolf Hitler geforderten Umbau ästhetisch Federn lassen, es wurden farbige Wandfassungen übertüncht und Stuckmasken abgeschlagen.
Die Treppenanlagen mit ihren Marmorbelägen, geschmiedeten Geländern und Pfosten, Flügeltüren und Rabitzdecken mit einfachem, aber reizvollem Ornamentstuck aber blieben größtenteils erhalten. Offenbar ging man 1935 davon aus, dass man den Operngästen auf den "billigeren Plätzen" nach wie vor den verhassten und nur leicht gezähmten Jugendstil zumuten konnte. Gleiches gilt für die "stillen Örtchen", wo sich Fliesenböden, Türen und Geländer von 1905 erhalten haben.
Akustisch missraten
Festlich und durchaus einladend empfängt uns schließlich der Zuschauerraum mit seinen umlaufenden Rängen, deren Brüstungen wieder mit vergoldeten Sinnbildern der darstellenden Künste von Hans Panzer verziert sind. Er schuf wohl auch die Dekoration der Ehrenlogen am Proszenium mit den Wappen Frankens und Nürnbergs. Unter einem Stuckhimmel von 1996 lagern über dem Bühnenportal der griechische Dichter- und Sangesgott Apoll mit Eros und den delphischen Musen, ein Werk des Bildhauers Emil Hipp. Beim Anblick des gigantischen, des enormen Gewichtes wegen im Dachwerk verankerten Kronleuchters von 1935 kommt einem wieder der Festsaal eines Kreuzfahrtschiffes in den Sinn.
Weniger erbaulich sind dagegen das akustische und visuelle Besuchererlebnis von zahlreichen Plätzen aus, die wir wohl Hitlers Eigensinn und der mangelnden Erfahrung seiner Planer Paul Schultze-Naumburg, Gerdy Troost und Leonhard Gall verdanken: Anstelle von Seelings genialem Leichtbaugewölbe zogen sie eine wesentlich flachere Decke mit übergroßer Gebälkzone ein, die das Klangerlebnis in Teilen des Raumes beschnitt und den Blick auf die Bühne mitunter zu einer abenteuerlichen Halsverrenkerei machten.
Teil 1 unserer Serie: Als Hitler das Stadttheater zum Ausflugsdampfer machte
Die "Führerloge", die sich Hitler ganz in absolutistischer Tradition im ersten Rang einrichten ließ, ist heute freilich verschwunden; in ihrem Vorraum mit Zugang vom Glucksaal, über den einst ein bronzener Parteiadler wachte, stehen nun Projektoren. Die Ehrenlogen im Proszenium hingegen sind noch vorhanden und verfügen bis heute über Teile der Ausstattung der 1930er Jahre, darunter hochwertige mehrarmige Leuchter und Plafonieren, also Deckenlampen.
Wie Hitler und die Nazis das Nürnberger Opernhaus für ihre Propagandazwecke ausnutzten
Nun haben wir den öffentlichen Bereich des Opernhauses erkundet, um uns im nächsten Akt jenen Raumfluchten zuzuwenden, die dem Normalbürger meist verschlossen sind. Zeit für ein kurzes Fazit: Allen Unkenrufen zum Trotz sind die Räume des Nürnberger Opernhauses in der Fassung von 1935 gewiss nicht ohne Wert. Sie sind anspruchsvolle Innenarchitektur der NS-Zeit und schon wegen ihrer Entstehungsgeschichte von erheblicher geschichtlicher und kunsthistorischer Bedeutung.
Dass sie Denkmalschutz genießen, ist fachlich absolut richtig, mag manch Betrachter diese Bewertung auch nicht teilen. Ohnehin ist eine Wiederherstellung der Jugendstilfassung ausgeschlossen: Zu lückenhaft ist die Dokumentation, und schließlich stellt sich die Frage, welche Aussagekraft eine solche Kopie hätte, wenn sie nicht aus ihrer ursprünglichen Entstehungszeit heraus und durch die Hände ihrer einstigen Schöpfer entstanden ist. Das wäre dann Jugendstil, wie wir ihn uns im 21. Jahrhundert vorstellen, der aber mit dem Jahre 1905 nur bedingt etwas zu tun hätte.
Gleiches gilt für den auch schon wieder veränderten Zustand der 1930er Jahre, den man aufgrund seiner Entstehungsumstände ebenfalls nicht unbesehen und ohne zeitgenössischen Kommentar wiederherstellen sollte. Es wird daher eine der wichtigsten Aufgaben der anstehenden Sanierung sein, die Raumfassungen von 1935 und die Anforderungen an ein modernes Opernhaus unter einen Hut zu bringen.
Über den Autor: Sebastian Gulden ist als Denkmalpflegerischer Gutachter, Bau- und Kunsthistoriker in Nürnberg tätig. Über das Opernhaus hat er im Auftrag des Staatstheaters Nürnberg eine mehrbändige Dokumentation angefertigt, die als Grundlage für die anstehende Generalsanierung dient.
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