Kostenloser Haarschnitt für Flüchtlinge

Ein Stück Würde und Normalität

28.3.2022, 16:35 Uhr
Die Frisur sitzt: v.l. Oksana Manycheva, Azubi Elias, Sohn Alexej, Tochter Sofia, Friseurin Julia und Inhaber Marcel Schneider.

© Stefan Hippel, NNZ Die Frisur sitzt: v.l. Oksana Manycheva, Azubi Elias, Sohn Alexej, Tochter Sofia, Friseurin Julia und Inhaber Marcel Schneider.

"Gefällt dir die Frisur?" Der 13-jährige Marko nickt. Wegen der Maske bleiben große Teile seines Gesichts bedeckt, aber in seinen Augen kann man ein freudiges Funkeln erkennen. Er ist zusammen mit seiner Mutter Olena in den Salon von Marcel Schneider im beschaulichen Altenfurt gekommen. Der Coiffeur bietet seit drei Wochen einen kostenlosen Haarschnitt für ukrainische Flüchtlinge an. Zusammen sind Olena und Marko am 28. Februar aus der Ukraine geflohen, aus Angst vor den russischen Truppen. Beide kommen aus dem Kiewer Vorort Irpin. Dieser ist schon seit Wochen zwischen der ukrainischen Armee und russischen Soldaten heiß umkämpft, große Teile sind mittlerweile dem Erdboden gleichgemacht. Olenas 24-jähriger Sohn und ihr Ehemann durften nicht mitkommen, sie kämpfen jetzt für die Ukraine. In Rumänien gerieten Olena und Marko dann an Maria Wagner, die gerade Hilfsgüter an die Grenze gebracht hatte. Diese zögerte nicht und nahm Mutter und Sohn kurzerhand mit zu sich nach Deutschland: "Ich lebe zwar schon seit 26 Jahren hier, komme aber ursprünglich aus der Ukraine, da hat das Ganze nochmal eine andere Bedeutung für mich", erklärt sie ihre Hilfsbereitschaft. Jetzt hilft sie bei der Wohnungssuche.

Wie viele andere ukrainische Flüchtlinge nutzen Olena und Marko gerne Schneiders Angebot. Für diesen wiederum ist es eine Herzensangelegenheit: "Klar, die Haare sind nicht das wichtigste, aber für viele hat es etwas mit Würde zu tun", sagt er. Vor ein paar Tagen hatte er eine 82-jährige Dame aus Mariupol bei sich im Laden, die ihm nach dem Schneiden der Haare um den Hals fiel - mit Tränen in den Augen. "Hier wird im Moment gelacht, aber eben auch geweint."

Das Frisieren der Flüchtlinge legen sie schon mal auf den Nachmittag, wenn der Laden geschlossen ist oder den Dienstag, ihren freien Tag. "Wir machen das dann in unserer Freizeit, aber das ganze Team steht bei der Entscheidung hinter mir", betont Schneider. Dazu gehören unter anderem die Friseurin Julia, die Russisch spricht und deshalb als Übersetzerin fungiert, sowie die drei Azubis Elias, Damian und Aiham. Elias und Aiham sind Jesiden und selbst als Flüchtlinge vor dem IS nach Deutschland gekommen: "Hier schließt sich jetzt der Kreis", sagt Schneider.

Freut sich über seinen Harrschnitt: Marko Melnyk (l.) mit Mutter Olena Melnyk (r.)

Freut sich über seinen Harrschnitt: Marko Melnyk (l.) mit Mutter Olena Melnyk (r.) © Jan Heimhold, NNZ

Weiter hinten im Laden sitzt derweil die Buchhalterin Oksana. Auch sie ist geflohen - aus Kiew. Einen Tag nach dem russischen Angriff, am 25. Februar um 04 Uhr früh, beschloss sie, dass sie gehen müssen. Sie, das sind sie und ihre zwei Kinder: Der 15-jährige Alexej und die sechsjährige Sofia, die vorne gerade ebenfalls einen Haarschnitt verpasst bekommen. Warum die beiden Frauen zu Schneider gekommen sind? Für Olena geht es vor allem um Normalität, auch wenn heute erstmal nur ihr Sohn mit Schneiden dran ist: "Ich hatte bereits in Kiew einen Termin ausgemacht, aber dann kam dem Krieg dazwischen. Durch den Besuch hier fühlt sich alles wieder etwas normaler an." Darüber hinaus sei ein Haarschnitt in Deutschland für ukrainische Verhältnisse extrem teuer. Ähnlich geht es Oksana. Sie könne mit Hilfe dieses Besuchs etwas abschalten, zur Ruhe kommen: " Egal was passiert, die Schönheit der Frauen soll nicht vergehen. Die Schönheit rettet die Erde", erzählt sie.

Friseur-Innung sagt Unterstützung zu

Marcel Schneider hatte das Ganze ursprünglich als vorübergehende Aktion geplant, aber die Resonanz war derart groß, dass er diese jetzt auf unbestimmte Zeit verlängert hat. 40 bis 50 Flüchtlingen hätten sie mittlerweile bestimmt schon die Haare geschnitten: "Wir kommen einfach nicht mehr hinterher, die Anfragen kommen von überall. Am Wochenende wollte mir eine Betreuerin aus Fürth um die 30 Frauen vorbeischicken." Umso schöner wäre es für ihn, wenn sich auch andere seiner Kollegen zu solchen Aktionen bereit erklären würden: "Wenn jeder von uns ein bis zwei Flüchtlingen dien Haare schneidet, kommen wir super hin." Die Friseur-Innung Nürnberg hat auf unsere Nachfrage bereits zugesagt, dass sich hilfsbereite Mitglieder an sie wenden können.

Bei Schneider im Salon machen sie jetzt Feierabend, bevor am Freitagnachmittag bereits die nächsten ukrainischen Familien vorbeikommen - für ein Stück Würde und Normalität.

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