"Ich bin wirklich verzweifelt"

Friseurhandwerk in der Krise? Mit welchen Problemen Nürnberger Friseure kämpfen müssen

Alina Boger

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8.5.2024, 05:00 Uhr
Die Zahl der Auszubildenden im Friseurhandwerk ist in den letzten Jahren drastisch gesunken. Zwei Nürnberger Friseure erklären, woran das liegt.

© Edaurd Weiger/dpa/privat Die Zahl der Auszubildenden im Friseurhandwerk ist in den letzten Jahren drastisch gesunken. Zwei Nürnberger Friseure erklären, woran das liegt.

Normalerweise hätte Marcel Schneider zu diesem Zeitpunkt schon zehn bis 15 Bewerbungen von potenziellen Auszubildenden. Dieses Jahr schaut es für den Nürnberger Friseur aber ganz anders aus. "Ich bin wirklich verzweifelt auf der Suche nach Mitarbeitern", erklärt er in einem Gespräch mit der Redaktion. Bis jetzt habe er noch keine einzige Bewerbung erhalten. Dabei hat er sich schon selbst auf die Suche gemacht und neue Wege eingeschlagen. Beispielsweise gab er Inserate in Tageszeitungen auf und postete auf TikTok und Facebook, um die junge Zielgruppe abzuholen. Das Problem bleibt: Schneider findet keine neuen Azubis.

Nicht nur ihm geht es in seinem Handwerk so. Das Problem, einen neuen Mitarbeiter für einen Friseurbetrieb zu finden, dürften viele kennen. Rainer Rossmann, Obermeister der Friseurinnung Nürnberg, bekommt von Kolleginnen und Kollegen dieselbe Tendenz mit. Wobei einige offenbar auch gar nicht mehr ausbilden wollen oder können.

Die Corona-Pandemie - der Kern aller Probleme?

Den Kern der Problematik sehen beide Friseurmeister vor allem in einem - der Corona-Pandemie. Schneider bemerkte das plötzliche Umdenken, insbesondere nach den harten Lockdowns. Rossmann sieht es ähnlich. Und dass viele Kollegen selbst nicht mehr ausbilden wollen, kann er sich ebenfalls erklären.

"Wir haben gerade einen extremen Kaufkraftverlust", viele Menschen würden da hingehen, wo es billiger ist. Viele Stammkunden bleiben den Betrieben treu, kommen aber deutlich seltener. Dieses Konsumklima soll auch auf die Ausbildungsbereitschaft abfärben. Betriebe können es sich teilweise gar nicht mehr leisten, junge Menschen auszubilden, erklärt der Obermeister.

Auch der Generationenkonflikt soll eine Rolle in den sinkenden Ausbildungszahlen spielen. Rossmann erinnert sich, dass in dem Betrieb seiner Eltern Azubis früher "ausbildungsreif" gewesen sind. Es wurde eine gewisse Leistungsfähigkeit von ihnen erwartet, die sie auch erbracht haben.

Heute sei diese Leistungsbereitschaft deutlich gesunken. Junge Menschen würden beispielsweise sehr ungern an Samstagen arbeiten.

"Wir sollen die Generation Z bespaßen. Ich war letztens auf einem Seminar, da hieß es, wir müssen die Ausbildung sexy machen." Aber die Ausbildung sei die Basis, um mit dem Erlernten möglichst bis zur Rente Geld zu verdienen. Das müsse nicht unbedingt sexy sein, findet Rossmann.

Bildungssystem teilweise schuld an dem neuen Trend

Schneider hingegen würde sehr gerne ausbilden. Dafür seien ihm auch keine Mittel zu schade. Um seinen Beruf attraktiver zu machen, zahlt er laut eigenen Angaben auch übertarifliche Gehälter aus. Nur an dem finanziellen Aspekt kann es seiner Meinung nach also nicht liegen. Das größte Problem sei das jahrelange Schlechtreden der handwerklichen Berufe. Schülerinnen und Schülern sei die letzten zehn bis 20 Jahre eingeredet worden, sie müssten das Abitur machen und studieren, um etwas aus ihrem Leben zu machen und gutes Geld zu verdienen.

Selbst Lehrer hätten ihren Schülern oft eingeredet, sie sollen "was Besseres" machen, wenn sie doch relativ gute Noten haben, erinnert sich Rossmann an die Erzählungen seiner Praktikanten.

"Das stimmt aber überhaupt nicht", erklärt Schneider. Nach der Ausbildung könne man sofort in die Meisterschule gehen. Mittlerweile soll der Freistaat Bayern auch die Kursgebühren übernehmen. Und Rossmann sieht das ähnlich. "Da könnten manche Friseurazubis andere auslachen", denn in der Dienstleistungsbranche gibt es Trinkgeld, welches zwar nicht im Tarifvertrag festgehalten ist und somit nicht offiziell zur Vergütung mitgezählt werden kann, aber dennoch eine wichtige Rolle im Leben eines Friseurs spielt.

Beide Friseure sind sich einig, dass ihr Handwerk eigentlich einen großen Mehrwert für den Arbeiter selbst bietet. Es sei einer der wenigen handwerklichen Berufe, in denen man vor der Planung, über die Erstellung und bis zur Verabschiedung alles mit eigenen Händen schaffe und auch sehe, wenn der Kunde glücklich und zufrieden geht. "Das ist mehr, als man in vielen Handwerksberufen erwarten kann, was die Motivation angeht", findet Rossmann.

Schlechte Zukunftsaussichten

2008 waren es in Bayern 6100 Azubis für das Friseurhandwerk, 2023 sind es nur noch 2420 gewesen. "Das ist schon dramatisch", fasst Rossmann zusammen. Dabei findet er, dass das Problem in Ballungsräumen wie Nürnberg viel schwerwiegender ist. Auf dem Land hätten handwerkliche Berufe immer noch ein gutes Image.

Wie die Betriebe sich im Laufe der Zeit halten sollen, kann sich keiner der beiden erklären.

Rossmann sei seit Februar auf der Suche nach einer neuen Arbeitskraft. Da aber die meisten Bewerbungen, die ihn erreichen, von alleinerziehenden Müttern eingereicht werden, kommen sie auf keinen gemeinsamen Nenner bei der Gestaltung der Arbeitszeiten.

Schneider denkt ernsthaft darüber nach, irgendwann die 4-Tage-Woche in seinem Betrieb einzuführen. Nicht, weil diese derzeit für viele Bewerber besonders attraktiv zu sein scheint, sondern weil er seine bestehenden Mitarbeiter laut eigener Aussage keine 45 Stunden arbeiten lassen kann.

Der Obermeister der Friseurinnung Nürnberg hat nur noch wenige Jahre bis zur gesetzlichen Rente. Früher ist er davon ausgegangen, dass einer seiner angestellten Friseurmeister den Betrieb nach seinem Ruhestand übernehmen würde. Mittlerweile schaut es anders aus: "Inzwischen denke ich mir, mein Gott, der letzte macht das Licht aus und schmeißt die Schlüssel weg."

Es sei ein Umdenken notwendig, um Handwerksberufe für junge Menschen wieder attraktiv zu machen. Ein Verständnis dafür, dass nicht jeder einen akademischen Abschluss braucht und auch Fachkräfte in handwerklichen Berufen gutes Geld verdienen können. Auch ein wirtschaftlicher Aufschwung sei nötig, damit Betriebe weiterhin existieren können und der Friseurbesuch bald nicht zu einem Luxusgut wird. Wie das geschehen soll, bleibt aber eine offene Frage.

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