Geschichte: Vor 70 begann der zweite Weltkrieg

20.8.2009, 00:00 Uhr
Geschichte: Vor 70 begann der zweite Weltkrieg

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«Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten». Mit derart markigen Worten versucht Hitler bei seiner Reichstagsrede in den Morgenstunden des 1. September 1939 den Einmarsch deutscher Truppen in Polen zu rechtfertigen. Dass er dabei die Uhrzeit falsch angibt, ist das Geringste; in Wirklichkeit hatte der Angriff schon um 4.45 Uhr begonnen.

Doch die Rede suggeriert, dass man auf polnische Angriffe lediglich reagiert habe. Tatsächlich aber bestand die «Weisung Nr. 1» («Fall Weiß») darin, am frühen Morgen des 1. September mit dem Angriff zu beginnen, «nachdem alle Möglichkeiten erschöpft sind, um auf friedlichem Wege eine für Deutschland unerträgliche Lage an seiner Ostgrenze zu beseitigen».

Hitler hatte das Angriffsdatum kurzfristig verlegt

Die Frage ist nur, ob Hitler, der das ursprüngliche Angriffsdatum – 26. August – kurzfristig verlegt hatte, überhaupt alle politischen Möglichkeiten nutzen wollte, oder ob er diesmal – anders als im September 1938 – sich die Möglichkeit eines kriegerischen Vorgehens nicht mehr in letzter Stunde von einer Appeasement-Politik Großbritanniens und Frankreichs habe nehmen lassen wollen.

Zwar hatte es im Frühjahr und im Sommer 1938 durchaus Ausschreitungen polnischer Nationalisten gegen die deutsche Minderheit in den (bis 1919) früheren preußischen Provinzen Posen und Westpreußen gegeben. Auch war man in Polen nicht geneigt, Deutschland in der Frage des sog. Korridors zwischen Pommern und Ostpreußen oder in der Thematik der Stadt Danzig entgegenzukommen. Doch Hitler wollte die kriegerische Auseinandersetzung mit Polen.

Nachdem er schon am 25. März 1939 den Oberbefehlshaber des Heeres aufgefordert hatte, die «polnische Frage» zu bearbeiten, waren seither alle Schritte berechnet; «Polen müsse so niedergeschlagen werden, dass es in den nächsten Jahrzehnten als polit(ischer) Faktor nicht mehr in Rechnung gestellt» zu werden brauche. Schon am 23. Mai hatte Hitler seinen Generälen mit aller Offenheit klar gemacht: «Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung, sowie der Lösung des Baltikum-Problems».

Im Spätsommer 1939 war es soweit. Für Dienstag, den 22. August, hatte Hitler Politiker und Militärs, etwa fünfzig an der Zahl, auf den Obersalzberg einbestellt. Im Verlauf eines fast zweistündigen Monologs erklärte Hitler, er sei fest entschlossen, jetzt eine endgültige Lösung herbeizuführen und Polen zu zermalmen. Mit einem Dazwischentreten Englands und Frankreichs rechne er nicht.

Doch sei eine militärische Abrechnung auch mit den Westmächten nur aufgehoben. Das deutsche Volk werde sich wieder an den Kampf gewöhnen müssen, und der Feldzug gegen Polen sei dazu eine gute Vorbereitung. Deutschland bleibe übrigens gar nichts anderes übrig als zu kämpfen. Er, Hitler, sei nun fünfzig Jahre alt und stehe auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Da sei es günstiger, jetzt loszuschlagen als später.

Während in Danzig, das völkerrechtlich als Freie Stadt selbstständig war, und in Ostpreußen die Präsenz der Wehrmacht heimlich oder offen verstärkt wurde, gab es in diesen Tagen von Seiten Polens erneut Übergriffe: ein deutsches Passagierflugzeug («Von Bieberstein») wurde in der Nähe Danzigs außerhalb des polnischen Hoheitsgebietes von polnischer Flakartillerie beschossen und eine dreimotorige Machine der «Lufthansa» bekam im Bereich der Ostsee in 1500 Metern Flughöhe Feuer von polnischen Küstenbatterien und einem polnischen Kriegsschiff.

In all die Hektik schlug die Nachricht eines Nichtangriffspaktes zwischen Deutschland und der Sowjetunion am 23. August wie eine Bombe ein. Davon, dass dieser Vertrag ein geheimes Zusatzabkommen enthielt, mit dem sich Deutschland und die Sowjetunion für die baldige Zukunft Polen und die baltischen Staaten «teilten», wusste damals freilich kaum jemand. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Die Gespräche zwischen dem britischen Botschafter Henderson und Hitler waren jedenfalls nur dazu angetan, der polnischen Seite «den Schwarzen Peter zuzuschieben». Einen sechzehn Punkte umfassenden Vorschlag Hitlers, den Polen binnen 24 Stunden annehmen oder ablehnen sollte, wollte Polen nicht weiter diskutieren. Es vertraute auf seine Wehrhaftigkeit. Polens Außenminister Beck erklärte noch am 25. August dem US-Diplomaten Davis in Warschau, polnische Truppen würden im Fall eines deutschen Angriffs binnen dreier Wochen in Berlin einmarschieren; auf russische Hilfe sei das Land nicht angewiesen; Polen sei

stolz auf seine Reiterei.

In Nürnberg laufen währenddessen die Vorbereitungen für den am 1. September beginnenden «Reichsparteitag des Friedens» auf Hochtouren – bis zum 26. August; dann sagt Hitler dieses Ereignis ab. Am Nachmittag des 31. August bittet der polnische Botschafter Lipski in Berlin im Auswärtigen Amt um einen Gesprächstermin, der zwar gewährt wird; doch Ribbentrop fragt ihn barsch, ob er Vollmacht habe, sofort über die deutschen Vorschläge zu verhandeln. Als Lipsiki das verneint, kontert Ribbentrop kühl: «Dann hat es keinen Zweck, dass wir uns weiter unterhalten.»

In der Nacht zum 1. September fingieren SS-Einheiten in polnischen Uniformen einen Angriff auf den deutschen Sender in Gleiwitz; sie verlesen eine Botschaft, geben Pistolenschüsse ab und lassen einen verletzten Mann, der «präpariert» war, vor Ort liegen. Am Morgen des 1. September eröffnet der Panzerkreuzer «Schleswig-Holstein» das Feuer auf die «Westerplatte», ein polnisches Munitionsdepot gegenüber dem Danziger Hafen.

Britische Diplomatie kann die Katastrophe nicht verhindern

Zur selben Zeit stoßen deutsche Truppen auf breiter Front aus Pommern und Schlesien ins polnische Kernland vor. Der Zweite Weltkrieg beginnt. Im Reichstag erklärt Hitler vollmundig: «Ich habe wieder jenen Rock (des Soldaten; d.Verf.) angezogen, der mir selbst der heiligste und teuerste war, ich werde ihn nur ausziehen nach dem Sieg oder – ich werde dieses Ende nicht erleben.»

Nun beginnen seitens Großbritanniens erneut diplomatische Bemühungen, um den Konflikt beizulegen. Die britische Regierung verlangt in einem Ultimatum, dass Deutschland spätestens am 3. September um elf Uhr alle Kampfhandlungen gegenüber Polen einstellt und sich zurückzieht, «sonst besteht von diesem Zeitpunkt ab der Kriegszustand» zu Großbritannien. Deutschland ging nicht darauf ein – es folgten zwölf Jahre Krieg mit Millionen Toten und größter Zerstörung.

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