Lebensader der Südstadt

2.6.2020, 20:08 Uhr
Noch ’n Türmchen, noch ’n Giebelchen: Die Planer der Siemens-Schuckert-Wohnhäuser Gugelstraße 113–117 (von links) sparten nicht an malerischen Details.

© unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden) Noch ’n Türmchen, noch ’n Giebelchen: Die Planer der Siemens-Schuckert-Wohnhäuser Gugelstraße 113–117 (von links) sparten nicht an malerischen Details.

Sie ist rund eineinhalb Kilometer lang, durchquert zwei Stadtteile, zählt 157 Hausnummern – und sie ist eine der Schlagadern der Nürnberger Südstadt: die Gugelstraße. Ihr Bau begann schon 1865, doch ihren Namen, der an den reichsstädtischen Losungschreiber und Herrn des Steinbühler Schlosses Marx Christoph Gugel (1566–1626) erinnert, erhielt sie erst 1882. Damals reichte sie nur von der Schloßäcker- bis zur Humboldtstraße. Der Abschnitt zwischen Markgrafen- und Schwabenstraße, den wir heute in zwei Bildfolgen vorstellen, legte man 1898 an.

Hier bildet die Gugelstraße die inoffizielle Grenze zwischen zwei Stadtteilen, nämlich Steinbühl im Osten und Rabus, das um 1900 im Nordwesten der Siedlung Neu-Lichtenhof entstand, im Westen. Die Mieterklientel glich sich indessen auf beiden Seiten der breiten Straße: Hüben wie drüben lebten vor allem die Arbeiter und Angestellten der großen Südstadtfabriken, daneben Handwerker und kleine Kaufleute mit ihren Familien.

 Im Dachbereich reduziert, mit vereinfachten Fassaden und einem Ersatzbau haben die Wohnhäuser den Zweiten Weltkrieg leidlich überstanden.

 Im Dachbereich reduziert, mit vereinfachten Fassaden und einem Ersatzbau haben die Wohnhäuser den Zweiten Weltkrieg leidlich überstanden. © Stefan Schwach

Einen erheblichen Unterschied gab es jedoch bei den Bauherrn und Planern der Gebäude: Auf der Westseite des gezeigten Abschnittes der Gugelstraße lag die Bebauung von Beginn an in den Händen privater Bauherrn, die jeweils einen Architekten mit der Planung betrauten. Hier, auf früherem Ackerland, entstand bis 1910 eine geschlossene Zeile fünfgeschossiger Mietshäuser, deren Fassaden man im Nürnberger Stil und im Jugendstil gestaltete. Die Bauten auf der Ostseite hingegen gehörten zu der Siedlung, die der Bauverein Siemens-Schuckert’scher Arbeiter (heute Wohnungsgenossenschaft Sigmund Schuckert) zwischen 1895 und 1899 für seine Mitglieder errichtet hatte. Auf den ersten Blick wirken die Wohnhäuser – und das war durchaus Absicht – als seien sie individuell von unterschiedlichen Planern und Bauherrn im Stil der Neorenaissance und des Neubarock errichtet worden. Tatsächlich findet, wer mit aufmerksamen Augen durch die Siedlung spaziert, viele Gestaltungselemente in gleicher oder nur leicht abgewandelter Form an anderen Häusern wieder. "Modulare Bauweise", würde man heute sagen.

Einige Läden blieben erhalten

Lebensader der Südstadt

© Foto: unbekannt (Sammlung Stefan Schwach)

Mit Blick darauf, wie stark die Siemens-Schuckertwerke die Gugelstraße und die ganze Nürnberger Südstadt geprägt haben, mutet es geradezu prophetisch an, dass nicht etwa ein Kirchturm oder ein öffentlicher Prunkbau, sondern ein Schornstein den Fluchtpunkt der Straße markiert. Der aus roten Ziegeln erbaute "Siemens-Schlot" gehörte zum Heizkraftwerk des Siemens-Schuckert-Areals und war bei seiner Einweihung 1898 das höchste Bauwerk Bayerns. Als die Flächen am Horizont um 1910 zugebaut wurden, verschwand der Gigant nach und nach aus dem Blick, bis er 1985 gesprengt wurde.

Mit Ausnahme des Eckhauses mit dem zwiebelbehelmten Erker (Nr. 117), das im Bombenhagel unterging und 1956 wiederaufgebaut wurde, ist das Ensemble an der Gugelstraße noch heute weitgehend intakt. Die Bauten weiter im Norden bis zur Einmündung der Schuckertstraße kamen weniger glimpflich davon und mussten nach dem Krieg größtenteils neu errichtet werden.

Lebensader der Südstadt

© Fotos: Dr. Trenkler & Co. (Sammlung Stefan Schwach)

Im Jugendstilhaus Nr. 112 vorne links an der Einmündung der Schwabenstraße zog im Oktober 1945 die vierjährige Christa Bauer mit ihrer Familie ein. Damals türmte sich noch meterhoch der Trümmerschutt in der Gugelstraße. Das Haus selbst hatte nur wenige Schäden erlitten – Glück für die Bewohner und den Hausherrn Metzgermeister Georg Wolf, für seinen Handwerkskollegen August Etschel und den Drogisten Bernhard Leichs, die ihre Läden im Erdgeschoss hatten.

Christa und ihre Schwester Jutta sahen mit eigenen Augen die Folgen des Krieges an der Gugelstraße, hörten von Menschen, die in den Luftschutzkellern der Nachbarhäuser erstickt oder von Trümmern erschlagen worden waren. Und sie erlebten, wie sich ihre neue Heimat in den Wirtschaftswunderjahren aus den Trümmern erhob und durch den wachsenden Wohlstand wandelte. Anfang der 1960er Jahre eröffnete im Haus Gugelstraße 112 eine der ersten Mini-Supermärkte in der Gegend, und die Gattin des Inhabers erfüllte sich gleich nebenan mit einer eigenen Mode-Boutique einen lang gehegten Traum.

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© Foto: Boris Leuthold

In unseren Tagen ist die Zahl der Einzelhändler in diesem Teil der Gugelstraße wie in allen Vorstädten Nürnbergs merklich ausgedünnt, das Ausgebot der verbliebenen hat sich verändert. Es ist wieder eine Zeit des Wandels, wenngleich weniger dramatisch als in den Tagen, da die Gugelstraße und ihre Bauten einst entstanden und als sie vom Krieg gezeichnet wurden.

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