Mann tötet seine krebskranke Frau: Mord oder Tötung auf Verlangen?

19.6.2020, 06:00 Uhr
Mann tötet seine krebskranke Frau: Mord oder Tötung auf Verlangen?

© Foto: Werner Krueper/epd

Am Morgen des 7. Januar 2019, gegen 5.30 Uhr, griff Gerd G. zu einem Kissen, faltete es einmal, kniete sich über seine schlafende Ehefrau und drückte es ihr auf das Gesicht. Dann legte er in der Wohnung im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses in Schwabach Feuer.

Gegen 10 Uhr wurde der Schwelbrand bemerkt, Feuerwehrleute retteten G. vom Balkon. Eineinhalb Jahre später lautet die Anklage auf Mord und schwere Brandstiftung.

Er wollte ihr in den Tod folgen

Darf ein Mann seine sterbenskranke Frau töten, wenn sie ihn darum bittet? Seit Wochen verhandelt das Landgericht Nürnberg-Fürth über den Fall des 60-jährigen Gerd G.. Er gibt zu, seine Frau erstickt zu haben und wollte ihr angeblich in den Tod folgen.

Doch viele Fragen sind offen: Warum plante sie noch ein Treffen mit einer Freundin, und einen Arzt-Termin, wenn sie sterben wollte? Und können sich die Richter wirklich auf die Aussage des Angeklagten über die entscheidenden Gespräche verlassen? Wo verläuft die Grenze zwischen Mord und Tötung auf Verlangen?

Er habe sie aus "tiefstem Herzen" geliebt

Es sind die großen Themen des Lebens, die Liebe und der Tod, die zu diesem Strafverfahren führten – und es stockt einem der Atem, wenn in der 19. Strafkammer über diese fürchterliche Tragödie gesprochen wird. Er habe seine Frau auf deren ausdrücklichen Wunsch hin getötet, gab G. in mehreren Vernehmungen an. "Ich will nicht mehr", habe sie gesagt und ihn gebeten "mach’ mich weg, und mach’ es aber so, dass ich es nicht mitkriege".

G. habe seine Frau aus "tiefstem Herzen" geliebt, sagen Klaus Uhl und Christian Veit, G.s Verteidiger. Deshalb habe er sie in einem "Akt der Barmherzigkeit" getötet.

Heidi G. (Namen der Betroffenen geändert) litt schon lange unter einer schweren Herzerkrankung; vor einigen Jahren befiel ein bösartiger Tumor ihr Lymphgewebe. Nach vielen Therapien sah es im Herbst 2018 so aus, als sei der Krebs weg.


Wenn das Leben zur Qual wird: Interview zum Thema Sterbehilfe in Deutschland


Die Hoffnung währte nur kurz. Heidi G. bekam massive Rückenschmerzen und kurz vor Weihnachten hielt ihr Onkologe Knochenschwund oder Knochenkrebs für möglich – Anfang Januar sollte sie zur näheren Untersuchung erneut in die CT-Röhre geschoben werden. Am 7. Januar 2019 war sie tot.

Was ist in diesen Wochen passiert? Die Verteidiger sagen, Heidi G. habe sich an 6. Januar ins Bett gelegt – und war voller Hoffnung, nicht mehr aufzuwachen.

Die Schlafende war arg- und wehrlos

Oberstaatsanwalt Philipp Engl nennt Gerd G. einen heimtückischen Mörder und fordert lebenslange Haft: Die schlafende Heidi G. war arg- und wehrlos und es war G., der an jenem Morgen beschloss, "zur Tat zu schreiten, ohne dass dies mit der Ehefrau besprochen war". Tatsächlich sei G. verzweifelt gewesen. Sein Betrieb lief schlecht und weil er auch selbst krank ist, stand für ihn fest, dass er sich aus dieser wirtschaftlich schwierigen Situation nicht mehr aus eigener Kraft würde retten können.

Und die hoffnungslosen Sätze der Frau? Auch der Ankläger zweifelt nicht, dass Heidi G. über ihre Schmerzen gestöhnt habe, doch entsprang dies nur ihrer augenblicklichen Stimmung? Bedeuteten ihre Klagen wirklich ihr ernsthaftes Verlangen, aus dem Leben zu scheiden? Aus Sicht des Anklägers war es vor allem G., der beschloss, dass das Leben seiner Frau nicht mehr lebenswert war – und gegen dessen Kraft habe die gerade noch 40 Kilogramm leichte Heidi G. an jenem Morgen "keine Chance" gehabt. Doch wie ausdrücklich muss ein Tötungswunsch geäußert werden? Wie fügen die Richter die Aussage des Gerd G. über den mangelnden Lebenswillen der Heidi G. in ihr Gesamtbild ein? Wie glaubhaft ist G.? Heidi G. hatte sich nach Absprache mit ihrem Onkologen auf einen weiteren Arzttermin eingelassen. Sie hatte einer Freundin bei einem Telefonat zu Neujahr ein Treffen versprochen. Pläne einer Frau, die an eine Zukunft glaubte?


2020: Bundesverfassungsgericht erklärt Verbot von geschäftsmäßiger Sterbehilfe für verfassungswidrig


Nach ihrem Tod wurde Heidi G. von Rechtsmedizinern obduziert, entlang ihrer Wirbelsäule fanden sich bösartige Tumore. Heidi G. habe dies zu Lebzeiten geahnt, davon sind G.s Anwälte überzeugt. Um ihre Wirbelsäule zu stabilisieren, trug die Frau zuletzt ein Stahlkorsett, 24 Stunden am Tag. "Schildkrötenpanzer", so habe das Ehepaar das Hilfsmittel genannt, sagen die Verteidiger.

Heidi G. habe nicht mehr an ein lebenswertes Leben geglaubt, und natürlich wollte sie ihren Todesentschluss nicht mit ihrem Arzt oder einer Freundin besprechen, es sei unkomplizierter gewesen, diesen geplanten Terminen schlicht zuzustimmen.

Die Verteidiger halten für Tötung auf Verlangen und schwere Brandstiftung drei Jahre Freiheitsstrafe für angemessen. Heute sprechen die Richter das Urteil.


Verpassen Sie keine Nachricht mehr! In unserem neuen täglichen "Newsletter "Mittags um 12 - Zeit für die Region" erfahren Sie alles Wichtige über unsere Region. Hier kostenlos bestellen. Montags bis freitags um 12 Uhr in Ihrem Mailpostfach.

Mit unserem E-Paper-Aktionsangebot erhalten Sie die wichtigsten News im Zeitungs-Format direkt nach Hause: Einen Monat lesen für nur 99 Cent! Hier gelangen Sie direkt zum Angebot.