Opfer fehlte bei Prozess

Mordversuch auf der Wöhrder Wiese: Ein Schwerverletzter im Gras und Spurensuche im Drogenmilieu

6.9.2021, 16:23 Uhr
Mordversuch auf der Wöhrder Wiese: Ein Schwerverletzter im Gras und Spurensuche im Drogenmilieu

© Peter Kneffel, dpa

Der Mann lag ohnmächtig im Gras - doch der Spaziergänger lief einfach weiter, er achtete nicht auf ihn. Es war gegen 17 Uhr, ein warmer Nachmittag am 13. Juli 2020, das Gras ist weich, was soll denn da schon passieren?

Ein Jahr später schildert der damalige Spaziergänger, ein 18-Jähriger, vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, dass er den Ernst der Lage schlicht nicht erkannte. "Im letzten Sommer wurde auf der Wöhrder Wiese viel gekifft", sagt der Zeuge und erklärt, er war damals überzeugt, dass hier eben ein Junkie seinen Rausch ausschlief. Und weil er selbst nichts mehr mit Drogen zu tun haben wollte, habe er den Typ im Gras ignoriert und sei weitergelaufen.

Doch als plötzlich ein anderer Mann in Panik nach einem Krankenwagen schrie, griff der Zeuge zum Handy und alarmierte die Rettungskräfte. Intensiv-medizinische Hilfe war dringend nötig: Am Kopf des 21-jährigen Patienten fand sich eine etwa zwölf Zentimeter lange, stark blutende Platzwunde. Und im Süd-Klinikum Nürnberg zeigten sich auch mehrere Frakturen an der Hals- und Brustwirbelsäule des jungen Mannes.

Lebensgefährlicher Sturz gegen Betonring

Wie konnte es nur soweit kommen? Ein Jahr später ist die Staatsanwaltschaft von einem Mordversuch im Obdachlosenmilieu überzeugt: Laut Anklage lebte der Beschuldigte, ein 25-jähriger Mann, im vergangenen Sommer bereits seit einiger Zeit in der Nähe eines Lichtschachtes der U-Bahn-Haltestelle Wöhrder Wiese.

Als er dort an jenem Nachmittag den 21-Jährigen sah, wollte er von ihm Drogen kaufen - doch wurde abgewiesen. Voller Wut soll er den Mann an den Schultern gepackt und zu Boden gestoßen haben. Laut Anklage kannte der Angreifer den Ort - und wusste, dass der Geschädigte mit dem Rücken zu einem etwa zehn Meter langen Hang stand.

U-Haft seit Februar 2021

Tatsächlich überschlug sich der Geschädigte mehrfach, prallte gegen einen Betonring und blieb regungslos im Gras liegen. Dort sah ihn der Spaziergänger.

Seit Februar 2021 sitzt der 25-Jährige als mutmaßlicher Gewalttäter in U-Haft. Mehrere Zeugen hatten den Täter als sportlich gebauten Mann beschrieben, Bilder der Überwachungskamera des U-Bahnhofes zeigen zwar nicht das Verbrechen, doch belegen, dass er zum Tatzeitpunkt an der Wöhrder Wiese war. Laut Anklage verließ er den Tatort damals einfach - der tödliche Ausgang des Geschehens sei ihm gleichgültig gewesen.

Angeblich Opfer einer Verschwörung

Mit dem beginnenden Ende des Sommers im September 2020 verließ er seinen Lagerplatz und zog in eine Gemeinschaftsunterkunft in Schwabach. Dort wurde er im Februar 2021 festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth spricht von Heimtücke und wirft dem 25-Jährigen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Der Angeklagte lässt über seinen Verteidiger Michael Spengler erklären, dass er schweigen will. Doch er betont seine Unschuld und lässt durchblicken, dass er Opfer einer Verschwörung sein könnte.

Feinde im Drogenmilieu?

Ihr Freund habe sicher Feinde, so vermutet seine Lebensgefährtin im Zeugenstand. Weil er selbst in Zukunft die Finger von den Drogen lassen wollte, sei er angeblich bereit gewesen, der Polizei Namen aus dem Milieu zu nennen. Sie sei überzeugt, dass er zu Unrecht in Haft sitzt. Vielleicht sei Rache im Spiel, und ein anderer Mann schiebe ihm die Tat zu Unrecht in die Schuhe?

Doch weit führt diese Spekulation nicht. Besonderes Hintergrundwissen zu Drogendelikten soll er der Polizei nicht geliefert haben.

Die Beweisaufnahme bleibt zäh: Ein Schüler will ein Gespräch über die Tat belauscht haben und verwickelt sich in Widersprüche, ein anderer Zeuge erscheint nicht und selbst der Geschädigte (21) bleibt dem Gerichtstermin fern. Auch er geriet in der Vergangenheit bereits mit dem Gesetz in Konflikt, vor einem Jahr existierten mehrere offene Haftbefehle gegen ihn. Aus dem Krankenhaus entließ er sich quasi selbst - und heute ist offen, ob er der Polizei und der Justiz aus dem Weg geht oder ob er die Ladung zur Hauptverhandlung nicht erhalten hat. Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt.