"Pure Anarchie": Die Macher der FCN-Fanzines im Interview

27.12.2015, 10:09 Uhr

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Herr Mössner, Herr Wolf, wenn ich Sie als Kollegen begrüße, wer muss sich denn dann mehr beleidigt fühlen? Sie oder ich? Oder keiner?

Wolf: Ach, ich würde nicht sagen, dass das eine Beleidigung ist. Für keine Seite. Wir haben damals als Nürnberger Fanzines nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo eine gemeinsame Erklärung herausgebracht, die der Christian geschrieben hat. Da habe ich mir das erste Mal Gedanken gemacht über unsere Rolle: Wir sind keine ausgebildeten Journalisten, aber wir produzieren ein Printerzeugnis. Noch dazu eines, das von nicht wenigen Leuten gelesen wird. Deshalb, ja: Wir sind schon Kollegen.

Mössner: Ich glaube, dass es bei uns beim Ya Basta, das ja eher in die Richtung Magazin geht als ein klassisches Fanzine zu sein, falsch wäre, zu sagen, dass das mit Journalismus nichts zu tun hat. Wir interviewen, berichten, kommentieren. Das ist Journalismus, auch wenn man da ja auch wieder unterscheiden muss. Dem Boulevardjournalismus fühlen wir uns nicht nahe.

Sie kommen aber beide aus einer Fanszene, in der es in den letzten Jahren zum guten Ton gehörte, die deutsche Presse verallgemeinernd auch einmal in Liedern zu beschimpfen. Also: „Deutsche Presse auf die Fresse“ – singen Sie da mit als Kollegen?

Mössner: Ich bin schon dabei, wenn es um Journalistenbashing geht, auch wenn ich dieses Lied selber nicht mitsinge. Das bezieht sich ja meistens auf einen Teil der Presse, der sich unterscheidet vom ernstzunehmenden Journalismus, wie ihn vielleicht die NN oder der Spiegel betreiben.

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Wolf: In einem Stadion ist es schwierig zu differenzieren. Man kann da ja nicht singen: „Deutsche Presse auf die Fresse, außer. . .“. Ich denke, da darf sich eine Kurve schon ein bisschen Verallgemeinerung erlauben.

Die Kurve darf sich vor allem auch selbst zu Wort melden, auch außerhalb des Stadions. Ist diese kritische Haltung den klassischen Medien gegenüber der Grund, warum Sie Ihre Fanzines gegründet haben?

Wolf: Das kann man auch nicht verallgemeinern. Der Anspruch unserer beiden Hefte ist ein sehr unterschiedlicher. Beim Ya Basta, bei dem ich auch mitgearbeitet habe, war es am Anfang schon so, dass man damit eine Gegenöffentlichkeit schaffen wollte zu den etablierten, klassischen Medien. Man wollte meinungsbildend sein.

Und das mit gedruckten Heften. Würde das, was Sie machen, nicht im Internet besser funktionieren – und außerdem mehr Menschen erreichen?

Mössner: Online wird das doch auch nicht gelesen. Wenn man einen Printartikel vor sich hat, dann liest man den viel intensiver, es bleibt mehr hängen. Ich glaube, dass Printsachen auch meine Meinung mehr beeinflussen als Onlinetexte, da geht es ja nur um News, um Fakten. Online hat seine Berechtigung, ist auch notwendig. Aber ich schaffe mir dadurch keine Meinung an, das ist bei Print anders.

Wolf: Es gibt viele tolle Blogs. Aber ich kann das nicht lesen. Ich muss das in der Hand haben. Es gibt zehn Jahre alte Spielberichte, an die ich mich noch erinnere. Da kann ich ans Regal gehen und habe so ein Heft in der Hand. Kaffeeflecken drauf, Eselsohren – das macht es für mich halt aus.

Was macht denn das Ya Basta aus? Was war die Grundidee und welche Meinung sollte transportiert werden? Die der Nürnberger Ultras?

Mössner: Zu Beginn war das vielleicht so. 2007 ist die Idee entstanden, dass man ein Magazin macht, das sechsmal im Jahr rauskommt und nur einen Euro kosten darf. Der Initiator wollte seine Gedanken mit anderen teilen, seine Sicht auf Themen, die die Nürnberger Fanszene betreffen. Und er wollte möglichst viele Leute erreichen und das möglichst oft.

Das ist immer noch so, aber vor allem das Ya Basta hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Es ist beinahe ein Hochglanzmagazin geworden.

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Mössner: Das stimmt, es ist punkiger gestartet. Dass das jetzt nicht mehr ganz so ist, liegt aber auch daran, dass damals jeder seine Seiten so gelayoutet hat, wie er wollte. Bei uns gibt es aber auch ein paar Leute, die aus grafischen Berufen kommen und da war der Wunsch da, das zum einen immer wieder zu verändern, aber auch professioneller zu gestalten.

Wir verkaufen das Heft jetzt selbst, haben uns ein bisschen emanzipiert von Ultras Nürnberg. Wir haben einfach festgestellt, dass wir keine Gruppenmeinung abbilden können. Das ist zu heterogen und größtenteils auch unpolitisch. Wir, die das Ya Basta machen, sind öfter deckungsgleich in den Ansichten – wir bekennen uns allein schon durch die Themenauswahl im Heft offen zu einer liberalen und antifaschistischen Grundhaltung.

Das Heft ist aber auch gemäßigter geworden. Es gibt jetzt sogar Interviews mit Clubspielern. Die muss man der Pressestelle vorlegen, ganz unabhängig ist das nicht mehr, oder?

Mössner: Das mag stimmen, es gab aber noch nie Probleme. Bei den Vereinsinterviews weiß man allerdings auch schon, wie man das in der Abschrift formuliert, dass sich der Interviewte nicht daran stört. Im Gespräch formulieren Menschen schärfer, als sie es dann lesen wollen. Da muss man manchmal Kompromisse eingehen.

Im Daggl gibt es so etwas nicht. Das Heft kommt insgesamt ein wenig anarchischer daher. Wie blickt der Daggl denn auf das Ya Basta. Findet der das inzwischen spießig?

Wolf: Wir sind froh, dass wir solche Sachen wie Spielerinterviews nicht machen müssen. Aber das zum Beispiel ist ganz klar das Steckenpferd und auch die Stärke des Ya Basta. Wir decken mit den Heften in Nürnberg für jeden Bedarf etwas ab. Das Ya Basta beschäftigt sich mit vereinspolitischen Themen und der Ultraskultur an sich, die haben einen Anspruch, den wir nicht haben. Das soll aber nicht heißen, dass wir keinen Anspruch haben. Aber ich bin froh, dass es Ya Basta gibt, dass es das Hefdla gibt, wo einer dann vom Abendessen mit seiner Tante schreibt oder Ähnliches. Das ist ja auch genial.

Was ist denn der Anspruch und die Berechtigung des Daggl?

Wolf: Es ist ein Heft von Clubfans verschiedenster Couleur und Jahrgänge. Das sind fast alles Leute, die früher eigene Fanzines geschrieben haben, dann aber irgendwann die Motivation verloren haben, die aber gerne noch schreiben, aber nicht mehr die Muse und auch die Zeit haben, ein eigenes Heft zu erstellen. Wir sind also so was wie eine Supergroup der Nürnberger Fanzines.

Am Anfang war der einzige Anspruch: Wir wollten alle Clubspiele abbilden. Aber wir haben dann erst einmal alles gedruckt, das war pure Anarchie. Wir haben Fanzines vorgestellt, Spielberichte aus den 90ern noch einmal veröffentlicht. Jetzt ist es so, dass Fußball-Reiseberichte eigentlich den größten Teil des Heftes ausmachen.

Es ist ein Heft der Groundhopper?

Wolf: Nicht nur. Vor allem ist das mit dem Groundhopping ja eine Definitionssache. Ich fahre auch gerne ins Ausland und schau mir da Fußballspiele an. Bin ich deshalb ein Groundhopper? Dazu mache ich das wahrscheinlich zu lax. Ich zähle keine Länderpunkte. Ich war dreimal im selben Stadion in Belgrad. Da würde jeder Groundhopper zu mir sagen: Bist du blöd, fahr doch lieber irgendwohin, wo du noch nicht warst.

Ich erlebe auf solchen Touren schon auch Hopper, aber das sind eher nicht die, die Abends in irgendeiner Kneipe mit den Einheimischen sitzen. Die sitzen eher über Spielplänen, stehen um vier Uhr auf, weil sie noch in Mazedonien ein Spiel sehen müssen. Kleine Anekdote. Es gibt einen, eine Institution in der Szene. Mit dem war einer meiner Freunde unterwegs. Da sitzt er während einer Tour im Auto, ruft seine Mutter an, gratuliert ihr zum Geburtstag und sagt, dass er in zwei Jahren zu ihrem Geburtstag kommt, weil der dann nicht auf ein Wochenende fällt.

Bei Ihnen ist das anders?

Wolf: Bei mir auf jeden Fall. Ich will nicht nur Fußball erleben. Wir wollen auch nicht nur Fußball transportieren im Daggl. Ich war zum Beispiel im Frühjahr auf dem Balkan. Da bis du eine Woche in Bosnien, Serbien – in, aus unserer Sicht, in Mitteleuropa noch einigermaßen exotischen Landstrichen. Ich möchte transportieren, dass es Spaß machen kann, durch die Gegend zu fahren, sich Städte anzuschauen, etwas über Geschichte und Kultur zu erfahren. Und den Fußball. Die serbische Gesellschaft zum Beispiel, dieses Rohe – das spiegelt sich schon auch in den Fankurven wider.

Die neueste Ausgabe des Ya Basta beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema. Ein Paradigmenwechsel. Die Wende hin zum Hopper-Magazin?

Mössner: Eher nicht.

Wolf: Oh, der Selbstversuch.

Selbstversuch?

Mössner: Okay, ja, wir haben diesen Selbstversuch gemacht für die neue Ausgabe. Wir sind für ein Groundhopping-Experiment zwei Wochen nach Argentinien.

Wie war es?

Mössner: Super.

Wolf: Das würden viele Hopper anders sehen. Die würden sagen, ihr habt viel zu wenig daraus gemacht.

Mössner: Wir waren zu dritt, eigentlich war noch ein Vierter eingeplant, der in Buenos Aires studiert hat. Der sollte uns helfen, deshalb haben wir die Planungen eigentlich eingestellt. Wir dachten: Super, der Mann spricht spanisch, der managt das. Dann hat er zwei Wochen vor Abflug abgesagt, und drei Menschen sind losgeflogen, von denen keiner spanisch spricht, keiner Hopper-Erfahrung hat. Das war ein großer Urlaub, aber die Hopper-Karriere ist eher wieder beendet.

Wir haben 13 Spiele in 14 Tagen gesehen. Für uns war das viel, ein Hopper würde sagen: Was, ihr habt nicht drei Spiele an einem Tag gesehen? Meine Erfahrung ist: Es wurde von Tag zu Tag schwieriger. Jeden Tag Fußball schauen . . .. Ich muss sagen: Ich habe auch schon viele Spiele gesehen in meinem Leben, aber ich plane jetzt nicht meinen Urlaub rund um Fußballspiele.

Wer macht das denn? Was sind das für Menschen, diese Groundhopper?

Wolf: Ich kann nur für mich sprechen. Oft ist es so, dass die Reise das Beste ist. Ich mag es einfach, unterwegs zu sein, im Auto zu sitzen. Manchmal ist das Spiel dann der erste Moment des Tages, an dem man sich denkt: langweilig. Die Begegnungen mit den Menschen in Ländern, die man sonst vielleicht nicht kennenlernen würde, das macht es für mich aus. Ich war in über 20 Ländern, aber ich war noch nie in Belgien. Da sagt jeder Groundhopper: Wie? Da fährt man doch als Zweites oder Drittes hin. Bei mir ist es so, dass ich auch dreimal in eine Stadt fahre, wenn es mir gefällt.

Und dann schreiben Sie darüber: Im Ya Basta klingt das mitunter etwas pathetisch, vor allem wenn es um Ultra-Angelegenheiten geht, im Daggl ist das eher ein schnorriger Ton. Beiden Heften gemeinsam ist, dass Sie manchmal derber formulieren – gerade mit Blick auf die Polizei, auf staatliche Institutionen. Gibt es da nie Probleme?

Mössner: Bei uns sind die Artikel auch deshalb nicht gekennzeichnet, es gibt niemanden, der wirklich dafür verantwortlich ist.

Wolf: Wir sind wahrscheinlich nicht relevant genug.

Oder nicht mehr ganz so radikal. Gibt es inzwischen Selbstzensur?

Wolf: Bei uns gibt es das gar nicht, außer bei diskriminierenden Sachen. Das ist Grundkonsens. Sonst ist jeder frei in dem, was er schreibt.

Mössner: Bei uns ist das ähnlich. Aber es gibt bei uns schon eine Entwicklung. Wir kommen jetzt – so schrecklich das klingt – vielleicht manchmal etwas altersweise daher. Das ist wie die Punkband, die erwachsen wird. Feine Sahne Fischfilet würde ein Anti-Nazi-Lied heute auch anders schreiben als auf der ersten Platte. Sie haben es ja auf der ersten schon geschrieben. Man wiederholt sich. Wenn man irgendetwas in Sachen Polizei- oder Pressekritik zum zehnten Mal liest, dann denkt man sich: Okay, ich hab es jetzt, erzähl was Neues. Die Toten Hosen haben auf ihren ersten Platten auch anders formuliert.

Wolf: Gut, wenn der Tag kommt, an dem der Daggl als die Toten Hosen der Fanzines bezeichnet wird, höre ich auf.

 

Vier maßgebliche Fanzines gibt es rund um den Club:

Der Achterwahn erscheint zweimal jährlich als Fan- und Szenemagazin des Supporters-Club Nürnberg, eine Art Mitgliederzeitung also.

Das Ya Basta (zu Deutsch: Es reicht) entstand als Mitteilungsblatt der Ultras Nürnberg. Inzwischen hat das Magazin eine Auflage von 1750, soll zweimal pro Halbserie erscheinen, widmet sich vor allem fan- und vereinspolitischen Themen und wird im Stadion oder über order-yabasta@un94.com verkauft.

Der Daggl (der Name geht zurück auf die Fernsehserie Hausmeister Krause mit ihrem Spruch: Alles für den Dackel, alles für den Club) erscheint in einer Auflage von 1000 Stück seit April 2012 und behandelt Club- und andere, internationale Fußballspiele. Verkauf ebenfalls im Stadion oder über dagglmania@gmail.com.

Das Hefdla, die besondere Leseempfehlung der NN-Sportredaktion, ist eher ein Egozine, soll heißen, es wird nur von einer Person produziert. Hefdla-Hannes schreibt über den Club – und alles, was man sich sonst so vorstellen und nicht vorstellen kann. Auflage: 250 Stück. Arbeitsgerät: Schreibmaschine (Gabriele 100 DS). Verkauf: im Stadion oder über hefdla@hotmail.de

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