S-Bahn-Tragödie: Verteidigung fordert Bewährung

16.12.2019, 15:56 Uhr
S-Bahn-Tragödie: Verteidigung fordert Bewährung

© ToMa

Eigentlich ist alles klar. Eine Überwachungskamera hat die Tat am Bahnsteig aufgezeichnet. Die Szenen wurden während des Prozesses immer und immer wieder abgespielt. Man sieht, wie sich ein Streit entwickelt. Man sieht, wie zwei junge Männer schlichten wollen. Man sieht, wie einer von ihnen in den Rücken gestoßen wird. Er fällt ins Gleisbett. Reißt zwei andere Jugendliche mit. Einer kann sich retten. Die beiden anderen sterben. Sie werden erfasst von einem Zug, der außerplanmäßig durch den Bahnhof fährt. Seit vier Wochen müssen sich zwei mittlerweile 18-Jährige vor der Jugendkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth verantworten.

Dass sie es waren, die geschubst haben, daran gibt es keinen Zweifel. Schon vor Prozessbeginn räumten sie den Vorwurf auch ein. Und doch gestaltete sich der Prozess zäh. Die Frage, mit der sich das Gericht auseinandersetzen muss: Wie ist die Tat zu werten? Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst wegen Totschlags. Damit der Straftatbestand erfüllt ist, muss den Tätern aber zumindest ein bedingter Tötungsvorsatz nachgewiesen werden.

Die Anklagebehörde aber ging davon aus, dass die beiden 18-Jährigen nicht damit rechneten, dass ein Zug durchfahren könnte – zumal die S-Bahn, auf die alle warteten, ja erst zehn Minuten später einfahren sollte. Eine Argumentation, der die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auch nach Abschluss der Beweisaufnahme folgt.

Die Hauptverhandlung habe nicht ergeben, dass die Angeklagten den Zug wahrgenommen haben, so die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Einen Tötungsvorsatz sieht sie nicht. Auch haben die beiden Jugendlichen den Tod der beiden 16-Jährigen auch nicht billigend in Kauf genommen.

Geht es nach der Staatsanwaltschaft, dann werden die beiden Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Für einen der beiden beantragte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft eine Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten, für den anderen vier Jahre und fünf Monate, so Justizsprecher Friedrich Weitner, der das aus Gründen des Jugendschutzes nichtöffentliche Verfahren verfolgt. Benjamin Schmitt sieht das anders. Er vertritt die Eltern der beiden getöteten Jungen. Sie treten in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Schmitt beantragt, die beiden Angeklagten jeweils wegen Totschlags in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig zu sprechen und zu Jugendstrafen von vier Jahren und sechs Monaten und fünf Jahren und drei Monaten zu verurteilen.

Totschlag deshalb, weil er von einem Tötungsvorsatz ausgeht. Schmitt meint, dass die Angeklagten den Zug durchaus kommen sahen. Durch ihr extrem gefährliches Handeln hätten die beiden Angeklagten den Tod der beiden Jugendlichen billigend in Kauf genommen.

Verfahren für Nebenkläger belastend

Für die Nebenkläger gehe ein sehr belastendes Verfahren zu Ende, so Schmitt. Den Eltern gehe es vor allem um eine umfassende Aufarbeitung des Geschehens und nicht etwa um Rache oder Sühne.

Die Verteidigung indes folgt argumentativ der Staatsanwaltschaft – bei der Strafzumessung jedoch argumentiert Sven Oberhof anders. Man müsse auch berücksichtigen, dass der Entschluss zum Schubsen in einer aufgeregten Kampfessituation innerhalb von einer, maximal zwei, Sekunden gefällt worden sei, so der Rechtsanwalt. Deshalb sei gegen seinen Mandanten eine Jugendstrafe von maximal zwei Jahren zu verhängen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden sollte.

Philipp Schulz-Merkel beantragt für seinen Mandanten ebenfalls eine Strafe von nicht mehr als zwei Jahren, deren Vollstreckung wegen der erlittenen Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt sollte. Für seinen Mandanten spräche auch, dass dieser dem dritten Jugendlichen, der ins Gleis gefallen war, das Leben gerettet habe.

Schon vorher wurde im Prozess bekannt, dass die beiden Angeklagten 10 000 bzw. 12 250 Euro an die Nebenkläger bezahlt haben. Auch Briefe, in denen sich die beiden bei den Familien der getöteten Jugendlichen entschuldigen, wurden im Verfahren verlesen. Die beiden 18-Jährigen können sich nach den Schlussvorträgen am Nachmittag noch einmal äußern. Laut Justizsprecher Weitner stehen beide auf und bitten noch einmal um Entschuldigung. Das Gericht wird am Mittwoch ein Urteil sprechen.