Streicheleinheiten für einen 120-Tonnen-Koloss

24.12.2014, 05:56 Uhr
Streicheleinheiten für einen 120-Tonnen-Koloss

© Fotos: Günter Distler

Die Patientin wiegt 120 Tonnen und befindet sich mit ihren 41 Jahren schon im fortgeschrittenen Alter, was auch an ihrer Hautfarbe zu erkennen ist. Ein knallig-glänzendes Rot ist das nicht mehr, denke ich bei der Begrüßung. Aber wenn man bei Wind und Wetter ein paar Hunderttausend Kilometer herumgekommen ist, wird der Teint eben ein wenig fahl. Und wie heißt es doch so schön: Die inneren Werte zählen. Und diesbezüglich hat offenbar niemand aus meinem „Ärzteteam“ etwas einzuwenden.

Damir Nowotny, Siegmund Linge und Jan Taschke sind ziemlich zufrieden mit dem Zustand der elektrischen Güterlokomotive 151 032. Um im Bild zu bleiben: Gute zwei Stunden „Pediküre“ und „Maniküre“ am Morgen werden wohl reichen, um die Lok fit für den Winter zu machen. Dann kann sie die Werkstatt verlassen und auf ihren Wegen quer durch die Region, Bayern und Deutschland wieder bis zu 2000 Tonnen hinter sich herziehen.

Die Halle ist riesig, 5000 Quadratmeter. Und alles sieht noch so neu aus, wie es ist: Ende September 2013 wurde die neue Lok-Werkstatt von DB Schenker am Nürnberger Rangierbahnhof eingeweiht. Es ist die größte in ganz Deutschland. 110 Mitarbeiter kümmern sich hier um die Instandhaltung von E- und Dieselloks, von kleinen Routine-Überprüfungen bis hin zur großen Revision, bei der die Fahrzeuge in wochenlanger Arbeit komplett zerlegt, aufgearbeitet und wieder zusammengesetzt werden.

30 bis 40 Loks am Tag

Rund 170 000 Arbeitsstunden fallen so jährlich an, im Schnitt werden 30 bis 40 Loks am Tag „behandelt“. In der Halle liegen tonnenschwere Radsatzwellen, riesige Antriebsaggregate, Trafoabdeckungen. Was sich nach einem lauten Arbeitsplatz anhört, ist in Wirklichkeit ziemlich ruhig. Einen Gehörschutz braucht hier niemand.

Aber andere Schutzausrüstung schon, erst recht als fachfremder Mitarbeiter auf Zeit. Bevor ich zum Gleis 28 darf, gibt es Helm, Sicherheitsschuhe, Warnweste und aufklärende Worte des Werkleiters Jörg Schaller: Wo die Feuerlöscher hängen, wie die Fluchtwege beschildert sind, „und bitte nicht selber irgendwo rumschrauben, Knöpfe drücken oder einen Kran bewegen“. Unterschrift drauf.

Schade eigentlich. Aber gut, dafür darf ich der Lok zusammen mit den neuen Kollegen wenigstens gleich mal aufs Dach steigen. Ein paar Minuten später habe ich einen Pinsel voller Spezialfett für Minusgrade in der einen und den 30 Kilo schweren Stromabnehmer in der anderen Hand. Die beweglichen Teile und die Auflageflächen werden von Nowotny und mir behandelt — und ich lerne, was „Schmiernippel“ sind: Kleine Stutzen, über die mit einer Fettpresse die Gelenke im Innern der Aufbauten versorgt werden. „Sonst können die festfrieren.“ Und wenn der Stromabnehmer nicht an die Oberleitung klappen kann, wird es unangenehm.

Das Gleiche gilt für einen Heizungsausfall im Führerstand. Um das Aggregat kümmert sich der 35-jährige Taschke. Ein Routinejob, der ihn nicht besonders fordert. Der Energieelektroniker ist ein echter Spezialist für das Schaltwerk der Lok, das die Spannung für die Motoren regelt. „Wenn Taschke da was nicht wieder hinkriegt, schafft es keiner in Deutschland“, sagt Werksleiter Schaller.

Links unten neben dem Sitz für den Lokführer öffnet Tascke eine Doppeltür aus Blech, löst eine Abdeckung mit Filter und hängt ein Ampere-Messgerät an die Kabel. Alles ist in Ordnung, auch die Scheibenheizung funktioniert. Noch schnell die Gummidichtungen der Türen fetten — wenigstens eine darf ich übernehmen — fertig.

Dann hebt sich das Rolltor, mit einem sanften Ruck fährt Taschke die Lok an, raus aufs Drehkreuz, dann zurück in den Außenbereich der Werkstatt. Genug Zeit, um sich den Führerstand genauer anzusehen. Die Bremshebel sind aus Messing, dem Kunststoff des Fahrschalter-Handrads sind vier Jahrzehnte Einsatz anzusehen, alles voller Hebelchen, von Digitalisierung keine Spur.

Im Führerstand

Über dem Heizungs-Drehschalter steht „wärmer“ und „kälter“, es gibt noch einen „Verdunkler für Fahrplanleuchte“. Übermäßig romantisch ist niemand hier. Aber ja, sagt Nowotny, das Beeindruckende an den alten Loks sei eben, dass die Ingenieurarbeit dahinter noch an jedem Bauteil zu sehen ist. Technik zum Anfassen.

Draußen wird überschüssiges Kondenswasser aus den Leitungen abgelassen, mit Handschuhen und Gesichtsschutz der Säuregehalt der 52 Batteriezellen einzeln überprüft. Ich darf noch in den Sandkästen über den Rädern wühlen. Anders als beim Sandburgenbau mit meinen Kindern muss sich der Inhalt schön locker anfühlen. Er soll ja in den nächsten Wochen und Monaten gleichmäßig auf eisglatte Gleise rieseln können und verhindern, dass die Achsen der Lok durchdrehen.

Na dann. ICE können ausfallen, die S-Bahn in die Knie gehen. Aber meine 151 032 wird diesen Winter auf keinen Fall liegenbleiben. Und der Ölfleck auf meiner Lieblingsjeans: geschenkt!

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