Volkszählung, aber ohne das ganze Volk

30.1.2008, 00:00 Uhr
Volkszählung, aber ohne das ganze Volk

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«Obwohl sich Deutschland beteiligt, werden viele Nürnberger/innen davon womöglich gar nichts merken», glaubt man im städtischen Amt für Statistik. Denn im Gegensatz zu der höchst umstrittenen, mit viel Protesten und einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts begleiteten Volkszählung 1987 ziehen in knapp vier Jahren nicht mehr Interviewer mit Fragebögen von Haushalt zu Haushalt. Vielmehr wollen sich die Statistiker vor allem auf Daten der Behörden stützen. Lediglich 550 Adressen (nach Stichproben) werden direkt herangezogen, Bewohner nach Bildung und Ausbildung oder Erwerbstätigkeit befragt.

Die Experten um Statistikamts-Chef Wolf Schäfer stellen fest, dass die Öffentlichkeit bisher nahezu nichts von den Vorbereitungen mitbekomme, obwohl die Vorbereitungen für den «registergestützten Zensus» 2011 längst laufen. Das war in den 80er Jahren komplett anders. In der eh schon aufgeheizten Stimmung in der Bundesrepublik (Nato-Doppelbeschluss mit Stationierung von Mittelstreckenraketen oder «Startbahn-West» in Frankfurt) wollte die Bundesregierung 1983 eine Volkszählung durchziehen. Die letzte hatte 1970 stattgefunden. Die Daten über die Bevölkerung - auch heute noch ein Argument - seien veraltet.

Aufruf zum Boykott

Doch über die Republik brach ein Sturm der Entrüstung herein. Landesweit bildeten sich Bürgerinitiativen. Sie riefen zum Boykott auf. Die Stimmung heizte sich auf. Gegner wurden kontrolliert und observiert. Sie befürchteten ein Ausspionieren bis in den letzten Winkel des Haushalts und die Rückschlüsse der Daten auf Personen. Das Schlagwort vom «Gläsernen Bürger» machte die Runde.

Die neue, konservative Regierung unter Kanzler Helmut Kohl («geistig-moralische Wende») setzte auf einen starken Staat. Und musste eine herbe Niederlage durch das Bundesverfassungsgericht einstecken. Zwei Rechtsanwälte riefen das höchste Gericht an, das im Dezember 1983 das Volkszählungsgesetz für verfassungswidrig erklärte. Der heute noch - Stichwort: Telefon- und Internetüberwachung - vielzitierte Begriff des «Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung» setzte Schranken.

Es dauerte fast vier Jahre, bis 1987 die (bisher letzte) Volkszählung in der Bundesrepublik für umgerechnet 500 Millionen Euro stattfand. Bis zu 600 000 Bürger sollen die Umfrage boykottiert haben. Die Statistiker zeigten sich dennoch zufrieden.

Nun soll - nach der Wiedervereinigung und Umzügen von Ost nach West - eine neue Zählung folgen (Kosten: 450 Mio. Euro). Die alten Daten, so die Nürnberger Fachleute, wurden nur fortgeschrieben und verlören mit jedem Jahr an Genauigkeit. Jetzt sollen die Melderegister und Datensätze der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet und die Haus- und Grundeigentümer bzw. -verwalter postalisch befragt werden. Die Städte haben aber Zweifel, ob die Daten aussagekräftige Ergebnisse bringen. Es wird sich auch zeigen, ob es neuen Protest geben wird.