Kommentar

Corona-Impfung: Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei

24.11.2021, 06:04 Uhr
Schläuche, Sensoren, Beatmungsgerät: Eine Corona-Patientin liegt auf der Intensivstation. Aufgrund der steigenden Fallzahlen geraten Bayerns Krankenhäuser an ihre Grenzen.

© Eduardo Parra, dpa Schläuche, Sensoren, Beatmungsgerät: Eine Corona-Patientin liegt auf der Intensivstation. Aufgrund der steigenden Fallzahlen geraten Bayerns Krankenhäuser an ihre Grenzen.

Wer bei jeder Gelegenheit „Freiheitsberaubung!“ schreit, wenn es um Regeln und Pflichten geht, hat das Prinzip der Demokratie nicht verstanden. Diesen Eindruck erwecken die Impfgegner, die seit Monaten allwöchentlich gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ demonstrieren – auch vor unserer Redaktion.

Demokratie bedeutet gerade nicht die maximale Freiheit des Einzelnen, oder nur Rechte ohne Gegenleistung zu haben. Sie bedeutet nicht, dass jede Einzelmeinung unabhängig von Fakten und Argumenten berücksichtigt werden muss. Und sie sollte auch weder bedeuten, dass eine laute Minderheit die Mehrheit vor sich her treibt, noch dass die Mehrheit über den Kopf der Minderheit hinweg entscheidet. Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss, wo immer es geht.

Manchmal geht es aber eben nicht mehr – so wie nun in der Corona-Pandemie. Den Kompromiss hat die Politik den Bürgern in den vergangenen knapp zwei Jahren geduldig offengehalten: Kontakte reduzieren, Abstand halten, Maske tragen, testen und freiwillig impfen.

Viele haben ihn angenommen – ob aus Vorsicht, Solidarität, oder um weitere Einschränkungen zu vermeiden. Aber knapp ein Viertel der Bevölkerung über zwölf Jahren ist nach wie vor ungeimpft. Und es sind oft dieselben, die es auch nicht für nötig halten, sich an andere Maßnahmen zu halten. „Individuelle Verantwortung“, wie sie Landrat Herbert Eckstein nach wie vor fordert? Scheint nicht auszureichen.

Grundrechte sind der Maßstab, aber kein Freibrief

Natürlich fühlt sich auch manch vollständig Geimpfter zu sicher und nimmt zu wenig Rücksicht. Die Betten auf den Intensivstationen füllen aber derzeit zum allergrößten Teil die Ungeimpften und blockieren sie für andere Patienten – im Landkreis Roth derzeit vier von sechs, in Schwabach drei von fünf. Geimpft würden diese Menschen meist milder erkranken und das Virus seltener weitertragen.

Muss also eine Impfpflicht her? Ich meine ja. Denn es kann nicht sein, dass die Sturheit weniger den Alltag vieler derart beeinträchtigt und schlimmstenfalls Leben gefährdet. Ein Eingriff in Grundrechte? Ja. Aber das ist nichts ungewöhnliches. Viele Gesetze beschränken individuelle Freiheiten, um ein funktionierendes Zusammenleben zu gewährleisten. Die Grundrechte sind dabei der Maßstab für die Wahl der Mittel. Und für einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sollten die Kriterien selbstredend sehr streng sein.

Doch auch Grundrechte müssen gegeneinander abgewogen werden, wenn zwei oder mehrere kollidieren – etwa das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit mit dem Recht auf Leben im Fall von Corona. Dann müssen Politik und Gerichte eines oder mehrere dieser Rechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einschränken, damit der Schaden an anderer Stelle nicht größer ist.

Bei dieser Abwägung – im konkreten Fall also zwischen der Gefahr einer Infektion und dem Eingriff durch die Impfung – geht es um eine Risikoabwägung. Und das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, daran zu sterben oder Langzeitfolgen zu erleiden, ist eben ungleich größer als die Einschränkung durch den Piks oder eine eventuelle Impfreaktion. Das ist keine beliebige Meinung, sondern Wissenschaft und Statistik. Worauf, wenn nicht darauf, sollte sich die Politik stützen?

Wie freiwillig war dann aber die bisherige Impfung, wenn nun alle „Nichtfreiwilligen“ doch den Oberarm freimachen müssten? Sie war freiwillig, solange es eben mit gutem Gewissen ging. Wer aktuell auf die Pandemie-Zahlen schaut, der weiß: Diese Zeit ist vorbei.

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