Jahreszahl 1585 überm Torbogen

Eine kleine Sensation hinterm Putz des Rother Stadtbräustübls

28.8.2021, 06:00 Uhr
David Burton ist sich sicher: Haupthaus und Anbau standen ursprünglich auseinander. Der Abschnitt mit der offenen Tür bis etwa zum Fallrohr wurde nachträglich zugemauert.

© Paul Götz, NN David Burton ist sich sicher: Haupthaus und Anbau standen ursprünglich auseinander. Der Abschnitt mit der offenen Tür bis etwa zum Fallrohr wurde nachträglich zugemauert.

Es war ein Geschenk zum eigenen Geburtstag, als David Burton im November 2009 das Stadtbräustübl erwarb. Fast zwölf Jahre lang wartet das mittelalterliche Gebäude nun auf seine Wiedererweckung. Ob das nun ein Großteil der Etappe war, oder so etwas wie eine Halbwertszeit, ist noch nicht abzusehen. Nachdem das ehemalige Wirtshaus am Marktplatz immer wieder neue Geheimnisse - inklusive einer historischen Sensation - freigibt, findet derzeit eine Neubewertung des Anwesens statt. David Burton traf sich diese Woche vor Ort mit Martin Danninger, dem Alleinunterhalter für Denkmalpflege am Landratsamt, und Stadtbaumeister Wolfgang Baier.

Die Stadt Roth hat im Frühjahr seine Vorstellungen zum „Altstadtquartier Marktplatz West vorgelegt“, zu dem auch das Stadtbräustübl-Areal zählt. Grob gesprochen geht es dabei um die Hofraumgestaltung und Durchgänge zu Bahnhofstraße und Kulturfabrik. In Sachen Nutzung überraschte Stadtbaumeister Wolfgang Baier im Gespräch mit der RHV, dass in der Baugenehmigung aus dem Jahr 2011 für das Erdgeschoss „Gastronomie“ eingetragen sei. Burton hat dagegen in Erinnerung, dass das wegen feuerpolizeilicher Bedenken kassiert worden sei. Bei den Gesprächen, die jetzt angelaufen sind, wird sich das sicher klären.

Ein Kriminalstück

Gut versteckt hinter einem Balken wurde die Jahreszahl 1585 freigelegt.

Gut versteckt hinter einem Balken wurde die Jahreszahl 1585 freigelegt. © Paul Götz, NN

Für die Passanten am Marktplatz ist seit Mai durch ein Baugerüst samt Vorhang wahrnehmbar, dass sich bei der Sanierung des Stadtbräustübls wieder etwas tut. Das ist so ähnlich wie beim Theater, denn hinter den Kulissen spielt sich - wenn man so will - schon länger ein Kriminalstück ab. „Mr. Burton“, so sagte es Martin Danninger bei einem ersten Rundgang, „leistet hier richtige Detektivarbeit.“ Er, respektive seine Mitarbeiter entdeckten dabei vor nicht ganz einem Jahr eine Zahl, die „eine kleine Sensation ist für Roth“, wie Danninger urteilt. „1585“ hat ein Handwerker über einen Torbogen geritzt, der unter einer Putzschicht und fast verborgen von einem Balken auf der Wand von Haupthaus und Hintergebäude verborgen war.

Durstige Fensterbögen: Mit gut 16 Litern Leinöl werden diese Exemplare gesättigt, ehe sie grundiert und neu lackiert werden. Auf dem Bild neben David Burton Denkmalschützer Martin Danninger.

Durstige Fensterbögen: Mit gut 16 Litern Leinöl werden diese Exemplare gesättigt, ehe sie grundiert und neu lackiert werden. Auf dem Bild neben David Burton Denkmalschützer Martin Danninger. © Paul Götz, NN

Der Fund bedeutet, dass das Stadtbräustübl nun eine Jahreszahl hat, die sich kurz nach der Errichtung von Schloss Ratibor (1535–1537) einordnen lässt. Bislang wurde der Bau auf „Mitte des 17. Jahrhunderts“ datiert. Dass die Inschrift über einen Torbogen angebracht war, ist ein klarer Beweis, das Vorder- und Hinterhaus ursprünglich nicht verbunden waren, sondern gut 2,5 bis drei Meter auseinander standen. Das wird bei der Restaurierung zu berücksichtigen sein.

Das ist beileibe nicht die einzige Abweichung von der Baubeschreibung, die beim Kauf des Ensembles verfasst worden war. Beim Freilegen der Wände des Haupthauses tauchen ständig Belege für eine rege Umbautätigkeit im Lauf der Jahrhunderte auf. Wände und Türen wurden versetzt, Fenster ausgeschnitten, Bögen begradigt und Bodendielen als Fachwerk verwendet. So ist man sich sicher, dass nur noch eine Wand an ihrem ursprünglichen Ort steht, entsprechend müssen die Geschossgrundrisse immer wieder nach der neuesten Lage umgeschrieben werden.

Die andere Seite der häufig wechselnden Innenarchitektur: Sie fand ohne Rücksicht auf die Statik statt. „Die Fachwerk-Konstruktion hält schon einiges aus“, erklärt David Burton, „aber die Traglast wurde dabei immer mehr auf die Außenmauern verschoben.“ Und da die kein Fundament hatten und auf purem Sand standen, sank das Gebäude ein. Seit Jahren wurde in einem komplizierten Balanceakt ein Fundament unterspritzt. Die beiden Längsmauer stehen jetzt auf 2,5 Meter hohem Beton. Bis auch die Rückseite abgestützt ist, rechnet Burton mit drei weiteren Jahren. Da ist auch alles um die Neubewertung des Hinterhauses einkalkuliert. Vergessen darf man auch nicht, dass die gesamte Innenkonstruktion immer noch gestützt werden muss, teils auch mit Betonwänden, die man wieder entfernen muss.

Sprechende Mauern

Viele der Bausünden wurden wohl vor gut 100 Jahren begangen. In den 1920-er Jahren wurde wohl am Wirtshaus einiges umgestaltet. Im Putz fand man immer wieder Zeitungen aus dieser Zeit eingearbeitet. Die Gemäuer bargen aber auch wesentlich brisantere Lektüre, war das Stadtbräustübl doch während der NS-Zeit Hauptquartier der örtlichen NSDAP. Kein Wunder, dass Burton aus diversen Verstecken von Nazi-Größen handsignierte Schriftwerke zog. Mauern können manchmal ganz schön viel reden.

Und Fenster können saufen. Der Grund für das Baugerüst ist, dass man den Sommer über die Fenster herrichten will. Soweit sie schon ausgebaut sind, werden sie in Handarbeit vom alten Anstrich befreit und geduldig mit Leinöl gesättigt. Um die 16 Liter nimmt so eine Holzrahmung auf, mit Bier hätten da wohl auch die lokalen Rekordhalter unter den Zechern im Stadtbräustübl ihre Mühe gehabt. Freilich darf sich das Holz zum Auftanken ein paar Wochen Zeit nehmen.

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