Forstrevier Roth: Wildschweine buddeln und Rehe bellen

30.5.2020, 18:00 Uhr
Forstrevier Roth: Wildschweine buddeln und Rehe bellen

© Foto: Milena Kühnlein

Keiner wagt es, sich in diesem Moment zu bewegen, obwohl das Knacken im Gebüsch vielleicht nur reine Halluzination ist ...

Fünf Stunden vorher: 16.30 Uhr. Hubert Riedel steht mit einer Jacke in leuchtendem Orange auf einem Parkplatz bei Rednitzhembach. Der 41-Jährige ist Revierförster und Jäger im Forstrevier Roth des Forstbetriebs Allersberg bei den Bayerischen Staatsforsten. Seit 2014 kümmert sich der Spalter nun im Landkreis Roth um 2000 Hektar Wald.

Lange Sträucher kratzen an der Stoßstange des dunklen SUVs, während Hubert Riedel mühelos über ruckelige Landwirtschaftswege immer tiefer in das Forstgebiet Kessel fährt. Im Auto befindet sich auch Inka, der kleine, freundliche Hund der Riedels. Am Heck des Wagens hängt eine dunkle, große Kiste. Darin werden die toten Tiere transportiert.

Der Wald und dessen Zustand ist Hubert Riedel wichtig, das merkt man an der Art, wie Hubert Riedel von den Veränderungen spricht. Auch die Corona-Krise hat ihre Spuren hinterlassen. "Die Menschen sollen den Wald als Erholungsort nutzen, ich finde das super", sagt er, "nur man sollte auf den Wegen bleiben und nicht zu sehr in den Raum der Tiere eindringen".

Auch Jugendliche, die den Wald während des Lockdowns für sich entdeckt haben, hat er anhand des hinterlassenen Mülls identifiziert. Schließlich hält er an und nimmt seine Baseball-Kappe von den rötlichen Haaren. Die Abendsonne strahlt durch die Baumkronen. In diesem eher kleinen Waldgebiet tummelt sich viel Wild. Der aufgewühlte Erdboden deutet auf Wildschweine hin.

 

Ohne Flinte, dafür mit Tablet

 

17. 15 Uhr. Fünf Meter vom Waldweg entfernt, geht Hubert Riedel auf kniehohe Jungbäume zu, ohne dabei auf etwas anderes zu treten als Blätter und Moos. Er zeigt auf eine abgeknabberte Buche, die weder Knospen noch Blätter trägt. "Das Rehwild ist leider ein echter Feinschmecker." Hubert Riedel und seine Kollegen versuchen den Wald natürlich zu verjüngen. Dazu gehört unter anderem das Pflanzen des Baumnachwuchses – und die Kontrolle des Wildbestandes. Das Ziel ist ein üppiger Mischwald für Mensch, Tier und Klima. Seine Arbeitszeit verbringt Hubert Riedel abwechselnd zwischen Bürotisch, Hochsitz und Waldraum.

 

Der Wald, das Sorgenkind

 

Den Wald mit allen Aufgaben zur Bewirtschaftung im Auge zu behalten, bedarf Managmentfähigkeiten. Diese erlernte er im Studium an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, wo er auch seine Frau, ebenfalls Jägerin und Försterin, kennengelernt hat. Seit er dort 2005 sein Diplom abgeholt hat, hat sich der Wald gewaltig verändert.

Lange Trockenphasen und Gewitterstürme setzten den Wäldern immer mehr zu. Ein einzelner Regentag, über den sich Menschen für die Natur freuen, bedeutet so gut wie nichts für den Wald. Ernste Gedanken macht sich Hubert Riedel vor allem um die Kiefer. In ganz Franken ist das sogenannte "Kiefernsterben" ein Problem. "Wenn das hier im Landkreis losgeht, wird es dramatisch," erklärt er, zwischen Jungbäumen stehend.

18 Uhr. Hubert Riedel steigt zurück ins Auto und fährt RichtungAbenberger Wald. Auf dem Weg zum Aufbrechplatz springt Rehwild mit großen Sätzen über die Straße. Das weiße Fell am Hinterteil ist noch kurz im Dickicht zu sehen. "Da wäre er gewesen, unser Bock", sagt Hubert Riedel lachend. Nochmal davongekommen. Anders ging es dem Tier, dessen strohig-braunen Haare an einem Fleischerhaken am Aufbrechplatz kleben. An der mit Stein ausgelegten Stelle werden die Tiere aufgehängt und ausgeweidet. Das muss schnell gehen, andernfalls verdirbt das Fleisch und wird ungenießbar. Riedel verkauft das Wildbret mittlerweile an bekannte Restaurants im ganzen Umkreis.

Hubert Riedel weiß noch genau wie er sich gefühlt hat, damals mit Anfang 20, als er sein erstes Tier erlegte. Aufgeregt und viel zu schnell stieg er damals herunter und hörte es noch ein letztes Mal schnaufen. "Da habe ich noch tagelang danach drüber nachgedacht," sagt er. Der Akt des Tötens bereite ihm in diesem Sinne keine Freude.

Und doch ist er von der Sinnhaftigkeit der Jagd überzeugt. Dass manche Tierrechtsorganisationen das anders sehen, weiß er. Die Drückjagden, die auch er gelegentlich ausübt, werden bei der Kritik meist als erstes herangezogen.

18.30 Uhr. "So soll das aussehen," erklärt Hubert Riedel ein bisschen stolz, als er in der Nähe des Aufbrechplatzes in ein kleines Stück Jungwald steigt. Die Bäume tragen saftige Knospen und überragen den 1,90-Meter großen Mann teilweise. Die Chancen stehen gut, dass daraus staatliche Bäume werden. Und dass dem so ist, führt Riedel auch auf eine gelungene Jagd zurück: "Die Abschusszahlen richten sich genau nach dem Wildverbiss."

Anders als im Disney Film Bambi, gelten bei der Jagd hierzulande moralische Grundsätze. "Unser Anspruch ist es, schmerzfrei zu töten. Ein Kitz, das tage- oder wochenlang rumliegt und verhungern würde, weil das Muttertier fehlt, das ist damit nicht vereinbar," erklärt Hubert Riedel.

 

Ideale Bedingungen für die Jagd

 

"Um 19 Uhr sollten wir spätestens oben sitzen." Die Sonne verschwindet allmählich. Die helle Holzkanzel steht auf einer großen Freifläche mit Jungbäumen. Manche davon sind zum Schutz umzäunt. Hubert Riedel schultert sein mattschwarzes Jagdgewehr und läuft umsichtig übers Gestrüpp zur steilen Stiege. Gestern hat es geregnet. Die Bedingungen sind perfekt. Mit einer dunkelgrünen Felldecke legt er die Holzbank aus. Das Gewehr liegt quer über der Brüstung auf einem Netz in Camouflage-Optik.

19.10 Uhr. Die Dämmerung setzt ein. Die Vögel im Wald liefern ein schier endloses Konzert. Wenn Hubert Riedel jetzt etwas sagt, flüstert er. Schließlich herrscht Schweigen. Plötzlich: ein Schuss. Ein klarer Knall hallt in zwei Kilometer Entfernung. "Da hat einer was getroffen",erklärt er. Es soll nicht der einzig hörbare Schuss aus dem Umkreis bleiben. Unter Riedels Kanzel zeigt sich unterdessen kein Tier.

Kein Reh möchte an der Salzlecke lecken, die in etwa 30 Metern Entfernung positioniert ist. Kein Wildschwein macht sich über den ausgelegten Apfeltrester her.

20 Uhr. Die Abendsonne hat schmale Wolken in Rosa und Lila getaucht. Aus der Ferne: ein lautes Bellen. "Das sind aufgescheuchte Rehe," erklärt Hubert Riedel. Waren es die Schüsse, die die Tiere aufgeschreckt haben? Laufen Sie nun hierher, auf diese Lichtung, um sich zu verstecken?

 

Leise Sprechen, nicht bewegen

 

20.30 Uhr. Keine hektischen Bewegungen. Keine lauten Geräusche. Die tausend Grüntöne der Bäume verschwimmen zu einem einheitlichen Grau. "Jetzt ist Crunchtime", sagt Hubert Riedel und bewegt sich von da an noch weniger als zuvor.

20.45 Uhr. Die Kälte zieht sich von den Zehen aufwärts schleichend in alle Gliedmaßen. Der Wind trägt erdigen Geruch zur kalten Nasenspitze. Die Vögel hören auf zu singen. Wieder hallt ein Schuss in der Ferne.

21.30 Uhr. Kurz bevor die Dunkelheit der Nacht die Umgebung verschluckt, knistert es im Dickicht. Die Präsenz der Tiere scheint spürbar. Ist da was? "Nicht bewegen", sagt Hubert Riedel. Nichts.

21.40 Uhr. Er legt noch einmal das Gewehr an und schaut durch das Zielfernrohr. Ob er jetzt noch abdrückt, wenn ein Tier auftauchen würde? "Nein, es ist schon viel zu dunkel, man könnte es nicht mehr genau erkennen." Also Abbruch. Hubert Riedel steigt von der Jagdkanzel. Er spricht immer noch flüsternd. "Wenn man so lange da oben sitzt, bildet man sich manchmal Geräusche ein", erzählt er amüsiert, während er zurück zum Auto läuft.

 

Das Glück der Anderen

 

Das Glück hatten an diesem Abend die Jäger-Kollegen, die nun irgendwo, woher die Schüsse auch kamen, ihre erlegten Tiere aufbrechen, die Innereien über die Bauchhöhle herausnehmen und das Wildbret in eine Kühlkammer bringen. Das ist Teil des Jobs. Ein anderer Teil heißt: Lauern, Warten und dann doch nichts sehen.

21.50 Uhr. Zeit, nach Hause zu fahren. In Mäbenberg passiert Hubert Riedel einen dunklen Jeep an dessen Heck eine weiße Kiste befestigt ist. Er dreht sich nochmal danach um. Auch die ist leer.

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