Russischer Angriff auf die Ukraine

Putin lässt die Panzer rollen: "Schlimmste Befürchtungen"

Carola Scherbel

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25.2.2022, 07:57 Uhr
In der Nacht zum 24. Februar hat der russische Präsident Putin den Befehl zur Militäroperation in der Ukraine gegeben.

© Sergei Malgavko via www.imago-images.de, imago images/ITAR-TASS In der Nacht zum 24. Februar hat der russische Präsident Putin den Befehl zur Militäroperation in der Ukraine gegeben.

„Ja“, sagt Marlene Mortler, EU-Parlamentarierin aus Lauf, „mein Gefühl hat sich bestätigt“. Sie habe mit dem Angriff gerechnet. „Putin sieht sich auf dem Weg zu einem eurasischen Reich – mit sich selbst als Herrscher.“ Seine Fehlpropaganda, dass die NATO Russland angreifen wolle, „ist ja ein Witz“. Aber viele Menschen in Russland hätten das geglaubt und merken erst jetzt, dass es Putin um Großmachtfantasien gehe. Selbst Menschen aus seinem inner circle, so die CSU-Politikerin, „dringen anscheinend nicht mehr zu ihm durch“. Mortler glaubt, dass der russische Präsident das Auflaufen der Politiker des Westens sogar genossen hat. „Umso mehr konnte er seine Bedeutung zeigen.“

"Sanktionen treffen auch uns"

Sanktionen seien wichtig, weil sie Russland hart treffen. „Aber sie treffen auch uns.“ Allein die Mengen an Weizen und Dünger, die wir aus Russland importieren, sind gewaltig. Sich gerade bei der Ernährungs- und der Energieversorgung endlich unabhängiger zu machen hält sie für eminent wichtig. „Man kann schnell Lösungen finden, wenn man die eigene Landwirtschaft von der Leine lässt – Stichwort Biogas.“ Es sei die einzige Energie, die grundlastfähig ist. Mortler: „Alle anderen erneuerbaren sind nicht speicherbar.“ Dass der Geldfluss erschwert werden muss, ist für sie klar. Aber was Waffenlieferungen an die Ukraine angeht: da habe ich noch kein abschließendes Urteil. Je mehr Waffen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg länger dauert und brutaler wird.“ Andererseits: „Nur mit Worten erklären, dass wir hinter der Ukraine stehen – das reicht nicht.“

„Ich habe die schlimmsten Befürchtungen“, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Ralph Edelhäußer aus Roth. Denn er bezweifelt, dass Putin die Ukraine allein reicht. „Und dann“, so Edelhäußer, „wird das ein Flächenbrand, wie wir ihn uns nicht vorstellen können – zwei Flugstunden von Berlin entfernt.“ Die Befürchtung, dass der russische Präsident Ernst macht, habe er schon länger gehabt. „Er stationiert doch nicht 130000 Soldaten an der Grenze und zieht dann unverrichteter Dinge wieder ab.“ Was soll die EU tun? Das Stoppen des Geldflusses, so glaubt der Abgeordnete, macht Putin nichts aus. „Der hat doch noch 600 Milliarden rumliegen, er kann bestimmt zwei Jahre so auskommen – oder noch länger.“ Nur Sanktionen sind seiner Meinung nach also nicht ausreichend. Hilfe bei Defensiv-Ausrüstung würde er bejahen, etwa Nachtsichtgeräte. „Aber wir müssen Solidarität zeigen und dürfen das Land nicht im Regen stehen lassen.“ In der Hinsicht stehen CDU und CSU übrigens klar an der Seite der Regierung. „Das ist politische Verantwortung.“

"Nicht hinnehmbar"

Auch für den SPD-Bundestagsabgeordneten Jan Plobner aus Altdorf war "zu erkennen", dass Putin die „ausgestreckte Hand der Diplomatie zurückgewiesen hat“. Putin sei nicht auf die Sicherheit Russlands bedacht, sondern ein ultranationalistischer Herrscher. „Unverzeihlich“ sei die Überschreitung der Grenzen und damit offensichtlich, dass Putin sie gewaltsam verschieben will. „Das ist natürlich nicht hinnehmbar“, eine klare Antwort hält Plobner für wichtig, „damit das Blutvergießen sofort endet“. „Die Sanktionen müssen Russland spürbar treffen.“ Die diplomatischen Bemühungen dürfen aber nicht eingestellt werden. Waffenlieferungen an die Ukraine hält er grundsätzlich nicht für richtig: „Es ist selten eine gute Idee, Waffen in Krisengebiete zu liefern.“

"Leider", so sagt Sascha Müller, der für die Grünen im Bundestag sitzt, "mussten wir nach den Entwicklungen der letzten Tage mit dem Schlimmsten rechnen". Die "Resthoffnung", dass Putin "zwar ein eiskalter Machtpolitiker, aber am Ende doch rational handelnd bleibt", hat getrogen. "Er hat den Weg der Rationalität verlassen und den Weg des Krieges gewählt."

Die angekündigten "schärfsten Sanktionen" seien "gut vorbereitet" und werden "noch heute auf den Weg gebracht". Alle weiteren eventuellen Maßnahmen müssen, so Müller, "mit kühlem Kopf bedacht werden".

Auf das „Allerschärfste“ verurteilt auch Kristine Lütke (FDP) den "Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“. Mit dem militärischen Angriff wird, so die Parlamentarierin, „das Völkerrecht auf schwerste Weise gebrochen“. Lütke: „Das Vorgehen ist unentschuldbar und kann durch Putins fadenscheinige Vorwände in keiner Weise gerechtfertigt werden.“ Die Geschlossenheit des Westens müsse jetzt zur Entschlossenheit bei der Reaktion werden: „Klar und unmissverständlich muss Russland diplomatisch, wirtschaftlich und finanziell hart getroffen werden."

Großrussisches Reich

„Gehofft habe ich schon, dass es nur eine Drohkulisse ist, aber man musste schon vor vier bis fünf Jahren für möglich halten, dass Putin es ernst meint.“ Michael Frieser, CSU-Bundestagsabgeordneter aus Nürnberg, sieht sich bestätigt: „Die abtrünnigen GUS-Staaten wieder zurückzuholen und ein großrussisches Reich zu errichten, war schon längst sein klares Ziel.“ Die Sicherheitsbedenken habe er nur vorgeschoben. „Russland wurde von niemandem jemals bedroht.“

Bei den Reaktionen sei das Aus von Nord Stream 2 nur der Anfang, auch die gesamte Elite müsse vom Geldfluss abgekoppelt werden. Der Reihe nach müssen die Sanktionen jetzt durchgeführt werden. Dabei muss es schnell gehen. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir zögern.“

Außerdem glaubt Frieser, dass dieser Krieg die gesamte geostrategische Lage verändert: „Wir haben uns ganz bequem eingerichtet, dass Deutschland ein recht passiver Teil ist.“ Aber Deutschland und Europa müssen künftig innerhalb des Verteidigungsbündnisses wesentlich mehr Aktivität zeigen.

Der Konflikt ist schon so weit, „dass auch Bündnispartner die NATO anrufen“. Schon aus geschichtlicher Verantwortung gegenüber der Ukraine müsse Deutschland mehr tun muss als nur Lazarette zu liefern. Frieser: „Wir können nicht so tun, als ob das ohne Waffen abginge.“

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