Schwabacher entwickelte Frodenos Rekord-Rad

21.7.2016, 10:00 Uhr
Mit hohem Tempo prügelte Jan Frodeno am Sonntag über die Radstrecke und stellte am Ende eine neue Weltbestzeit im Langdistanz-Triathlon auf.

© Ingo Kutsche (oh) Mit hohem Tempo prügelte Jan Frodeno am Sonntag über die Radstrecke und stellte am Ende eine neue Weltbestzeit im Langdistanz-Triathlon auf.

Soll man wirklich noch Fahrrad dazu sagen? Nennen wir es futuristisches Designerstück, das entfernt an ein Fahrrad erinnert. Das Ding jedenfalls steht noch im Büro von Wolfgang Kohl. Die Startnummer 2 ist noch unterhalb des Sattels angebracht.

Entwickelt wurde Frodenos Rad unter Leitung des Schwabachers Wolfgang Kohl. Rechts präsentiert er ein (fast) baugleiches Rad, mit dem er selbst regelmäßig zu seinen Touren aufbricht.

Entwickelt wurde Frodenos Rad unter Leitung des Schwabachers Wolfgang Kohl. Rechts präsentiert er ein (fast) baugleiches Rad, mit dem er selbst regelmäßig zu seinen Touren aufbricht. © Robert Gerner

Wenn sich Kohl, 37, auf seinem Schreibtischstuhl um 90 Grad nach links dreht, kann er es anfassen. Aber warum sollte er das tun? Der Schwabacher weiß ja wie es aussieht und wie es sich anfühlt. Schließlich hat er die Zeitfahrmaschine konstruiert, mit deren Hilfe Jan Frodeno am Sonntag in Roth eine neue Weltbestzeit im Langdistanz-Triathlon aufgestellt hat.

44 km/h im Schnitt

Bei 7:35:39 Stunden steht nun der Rekord für 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen. Der alte, aufgestellt vor fünf Jahren ebenfalls in Roth von Andreas Raelert (7:41:33 Stunden), ist Geschichte. Frodeno war im Main-Donau-Kanal sehr flott unterwegs (45:22 Minuten), er lief hinten heraus einen sehr guten Marathon (2:39:18 Stunden). Doch die Grundlage für die Weltbestzeit legte der frühere Olympiasieger auf der Kurzdistanz auf den zwei Radschleifen durch den südlichen Landkreis Roth: 4:08:07 Stunden für ein 180 Kilometer langes Einzelzeitfahren inklusive eines unfreiwilligen Ausritts in den Straßengraben, das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 44 Stundenkilometern.

Jan Frodeno saß dabei auf einem Rad, das in der Fachwelt im vergangenen Jahr erstmals für Aufsehen gesorgt hat. Geboren wurde dieses 7,5 Kilogramm leichte, im Windkanal optimierte und inzwischen mit einem Designpreis ausgezeichnete Sportgerät, das den Namen „Speedmax CF SLX 9.0 LTD“ trägt, im Rechner von Wolfgang Kohl. Der 37-Jährige, der aus der Nähe von Sulzbach stammt, aber seit zehn Jahren in Schwabach lebt, arbeitet seit siebeneinhalb Jahren für die Koblenzer Radschmiede Canyon. Die hat in Sportlerkreisen einen sehr guten Namen. Sie hat nicht nur Triathleten wie Jan Frodeno und Nils Frommhold unter Vertrag. Sie stattet in diesem Jahr auch zwei komplette Teams bei der Tour de France aus.

Wolfgang Kohl, ein gelernter Technischer Zeichner und Maschinenbautechniker, ist der federführende Ingenieur der Speedmax-Triathlonräder. Er selbst hängt das aber nicht so hoch. „Es funktioniert nur im Team“, sagt er. Er sei nur derjenige, der viele Fragen stelle, der sich in Gesprächen mit den Athleten und den Mechanikern die Inputs hole und dann versuche, diese mithilfe seines CAD-Programms umzusetzen.

Im Rechner entstehen dann virtuell Rahmen und Sattelstützen aus Karbon, der triathlon-typische Lenkeraufsatz, die ausgefeilte Rahmen-Geometrie und 1000 Kleinigkeiten, die aus einem normalen Rennrad eine 9500 Euro teure Profi-Maschine machen. 9500 Euro kostet die High-End-Variante von Frodenos Rekord-Rad. Man darf davon ausgehen, dass in der Rennmaschine, die der derzeit beste Triathlet der Welt am Sonntag fuhr, einige weitere Extras stecken: noch bessere Laufräder (Stichwort Scheibenrad) oder eine noch höherwertige elektronische Schaltung.

Radsport-Verrückte

„Projekt 740“ hat Jan Frodeno im Vorfeld seinen Weltrekordversuch für Roth genannt. Er wollte der erste sein, der einen Langdistanz-Triathlon in einer Zeit unter 7 Stunden und 40 Minuten absolviert. Wolfgang Kohl sagt, dass er sich als kleiner Teil dieses Projekts fühle. Ebenso wie die Spezialisten für Aerodynamik, die Farb-Designer, die Mechaniker, diejenigen, die in Asien die Fertigung des Rads überwachen, und, und, und. „Einer alleine würde überhaupt nichts zustande bringen“, sagt Kohl

Umgekehrt seien die Triathlon-Stars und die Radsport-Profis Teil des Team Canyon. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Eine Liaison von Radsport-Verrückten.

44 Stundenkilometer im Durchschnitt: Frodeno war vor allem auf dem Fahrrad richtig flott unterwegs.

44 Stundenkilometer im Durchschnitt: Frodeno war vor allem auf dem Fahrrad richtig flott unterwegs. © Ingo Kutsche

Welcher Aufwand von Frodenos Rad-Ausstatter betrieben wird, verdeutlicht dies: Im europäischen Sommer lebt und trainiert der Olympiasieger, Ironman-Weltmeister und Weltbestzeit-Halter in Spanien. Er tut dies normalerweise mit Triathlon-Rädern, die er nicht in den Rennen benutzt. Doch das Rekord-Rad muss ja angepasst werden. Also flog ein Canyon-Mechaniker im Frühjahr mit dem Rad und mehreren Sätzen Rädern nach Spanien. Drei Tage lang wurde getüftelt und getestet. Dann packte der Mechaniker das Equipment wieder zusammen. Frodeno sah sein Rad erst wieder zum Rennen in Roth.

Die Qualität des Rads, erzählt Wolfgang Kohl, ist das eine. „Aber wir haben auch einen hohen Designanspruch.“ Frodenos Triathlon-Maschine wirkt wie aus einem Guss, so als hätte man sie in einem Stück aus einem Carbon-Block herausgeschnitten. Sie ist reduziert auf das Wesentliche. Schnickschnack? Fehlanzeige! Eine kleine Revolution spielt sich dort ab, wo bislang die Triathleten ihre Trinkflaschen umständlich befestigten: zwischen dem Lenkeraufsatz. Dort, wo früher Platz war für eine klobige Flasche (Kohl: „Das hat immer sch... ausgesehen“), gibt es jetzt ein „integriertes Trinksystem“. So muss der Athlet die Hände noch seltener vom Lenker nehmen. Und Verwirbelungen gibt es auch nicht mehr.

Designerstück an der Wand

Jan Frodeno wird sein Weltrekord-Rad, das noch in Wolfgang Kohls Schwabacher Büro steht, wohl kein zweites Mal fahren. Zum nächsten Saison-Höhepunkt, der Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii im Oktober, stellt Canyon selbstverständlich neues Equipment. Frodenos altes Rad bringt Wolfgang Kohl mit dem Zug zurück zur Firma nach Koblenz. Es bekommt dort einen Ehrenplatz. Es steht dann nicht mehr im Schwabacher Büro von Wolfgang Kohl. Sondern hängt dann mutmaßlich im Koblenzer Büro von Firmenboss Roman Arnold. Manchmal macht sich ein futuristisches Designerstück an der Wand besser als jedes Bild.

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