Ungehorsam rettete die Stadt Forchheim

19.4.2020, 15:48 Uhr
Ungehorsam rettete die Stadt Forchheim

© Ray d’Addario

Damit die Sieger auf dem Adolf-Hitler-Platz in Nürnberg feiern können, wird ein Räumpanzer gerufen. Er soll Platz schaffen. Der Panzer schiebt die Trümmer eingestürzter Häuser beiseite und füllt die Bombentrichter auf. Um 18.30 Uhr beginnt die Zeremonie. 100 Musiker spielen die amerikanische Nationalhymne, Soldaten hissen die US-Flagge. Es ist ein Zeichen des Triumphs. General Major John Wilson O’Daniel verkündet: „Wir stehen auf dem Bollwerk des Nazi-Widerstands in unserem Kampfabschnitt.“


O’Daniel, Spitzname Iron Mike, kommandiert die 3. Infanterie-Division. Sein Auftrag lautet, jene Stadtteile von Nürnberg einzunehmen, die nördlich der Pegnitz liegen. Die 45. Infanterie-Division soll sich Nürnberg aus dem Osten kommend nähern. Eine Infanterie-Division besteht aus etwa 15000 Soldaten, Panzern, Sturmgeschützen, Artillerie und Flugabwehrkanonen.


Straßenkämpfe, Granaten, Tieffliegerangriffe: Mehrere Tage wird heftig in und um Nürnberg gekämpft. Als O’Daniel endlich auf dem Adolf-Hitler-Platz steht und die Fahne hissen lässt, haben noch nicht alle Deutschen in der Stadt kapituliert. Nur wenige hundert Meter weiter kämpfen noch immer US-Amerikaner gegen Soldaten, die sich im Polizeipräsidium verschanzt haben. Doch der Kommandeur will die Feier nicht verschieben: Denn er hat nicht nur seinen Auftrag erfüllt, sondern es ist auch ein besonderes Datum. Es ist der 20. April, Hitlers Geburtstag und Nürnberg, die Kultstätte der alljährlichen Feiern der Partei und Wehrmacht anlässlich der Reichsparteitage, ist in der Hand der Amerikaner.

Einige Wochen zuvor hatten die US-Truppen die Grenze zu Bayern erreicht. Stadt für Stadt kämpft sich die 42. US-Infanteriedivision vor. Am 3. April kapituliert Aschaffenburg, wenige Tage später auch Würzburg. Zuvor hatte es dort tagelang schwere Gefechte gegeben.

Am 11. April marschiert die US-Armee in Schweinfurt ein. Die Stadt gehört zu den am schwersten zerstörten Städten Bayerns. 50 Prozent der Wohnungen liegen in Trümmern, bei den Industriegebäuden sind es sogar 80 Prozent.
Nun lautet der Befehl, Bambergeinzunehmen. Viel Gegenwehr haben die deutschen Soldaten den Amerikanern dort nicht mehr entgegenzusetzen. Am Nachmittag des 13. April greift die 45. Infanterie-Division von Hallstadt aus die Stadt an, während eine weitere Division von Bischberg und Gaustadt in die Stadt dringt. Den letzten Widerstand brechen die Amerikaner nur wenige Stunden später, am Morgen des 14. April.


Die Gefechtsführung, also welche Truppen wo vordringen, ist bei den amerikanischen Verbänden klar geregelt. Die Divisionen erhalten ein Ziel, das sie in einem bestimmten Sektor erreichen sollen. Mal soll eine Ortschaft eingenommen, eine Flakstellung bekämpft oder ein Fluss überquert werden. Die Einheiten halten dabei untereinander Kontakt. So wollen so verhindern, dass gegnerische Truppen ihnen in den Rücken fallen.
Im Morgengrauen des 15. April erreichen die US-Truppen Forchheim. Die Stadt hatte sich zuvor ergeben. Der Amtsgerichtsdirektor Karl Poiger hatte sich über den Wehrmachtsbefehl, die Stadt bis zur letzten Patrone zu verteidigen, hinweggesetzt. „Das Wahnsinnige der Situation und die Vision des Elends einer sinnlos in Trümmer gelegten Stadt ließen mir keine Ruhe“, sagte er später.

In seiner Funktion als Führer der dritten Volkssturmkompanie war er Richtung Eggolsheim geradelt. 1944 hatte Hitler befohlen, in allen Gauen des Deutschen Reichs aus Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren den deutschen Volkssturm zu bilden, um mit allen Waffen und Mitteln die Heimat zu verteidigen. Poiger aber ignorierte die Anweisungen. Er wollte die Amerikaner überzeugen, die Stadt ohne Waffengewalt einzunehmen, da sich die Bewohner ohnehin nicht verteidigen konnten. Die Waffen am Nordausgang der Stadt waren unschädlich gemacht worden. Bei Hirschaid traf Poiger auf US-Soldaten. Er konnte den kommandierenden Offizier überzeugen, Forchheim kampflos einzunehmen.


In einem Bericht des Alliierten Oberkommandos in Paris heißt es am 15. April: „Unsere Panzer kämpfen in Bayreuth, die Infanterie befindet sich zehn Meilen nördlich der Innenstadt. Bamberg wurde komplett vom Feind gesäubert. Dort wurden etwa 1850 Gefangene gemacht. Unsere Armee rückte 15 Meilen östlich und nordöstlich der Stadt vor. Im Südwesten sind wir sechs Meilen vor Rothenburg.“

Die US-Truppen rücken immer weiter vor. Sie besetzen Lenkersheim, Ipsheim und Neustadt/Aisch und erreichen Erlangen. Die Nazis wollen die Hugenottenstadt unbedingt halten, als letzte große Bastion vor Nürnberg. Doch Erlangen kämpft mit eigenen Problemen. Die Stadt ist völlig überfüllt. In den Lazaretten und Kliniken liegen mehr als 4000 verwundete Soldaten und 1200 kranke Zivilisten. „Jeden Tag treffen neue Züge mit Verwundeten ein, jede Klinik ist überbelegt“, erinnert sich eine Medizinstudentin. „Autos für den Verwundetentransport gibt es schon lange nicht mehr – also muss, wer nur irgendwie gehen kann, zu Fuß in die umliegenden Lazarette. Für die meisten eine Qual! Sie tasten sich an Mauern und Zäunen entlang, erschöpft, ausgemergelt, abgerissen.“
Am 15. April beschießen Panzer und Artillerie Erlangen. Gauleiter Karl Holz befiehlt, die Stadt zu verteidigen. Er schärft Oberbürgermeister Herbert Ohly und dem Kampfkommandanten Oberst Werner Lorleberg ein, sich daran zu halten, sonst würden sie vor dem Rathaus aufgehängt. Lorleberg ignoriert den Befehl und verhandelt mit den Amerikanern. Gegen Mittag erklärt Lorleberg seinen Soldaten, das Feuer einzustellen.


Einen Tag später rücken die Amerikaner in Herzogenaurach und in Wendelstein ein und stehen dann, am 17. April, an den Stadtgrenzen von Fürth. Von Burgfarrnbach aus setzen sie die Kleeblattstadt unter Beschuss. Die NS-Kreisleitung flieht aus Fürth. Zwei Tage später unterschreibt Karl Häupler, Fürths kommissarischer Oberbürgermeister, die Kapitulation.
Während nach und nach die Kämpfe eingestellt werden, toben sie anderenorts weiter. Am 19. April explodiert eine Panzerfaust in Spalt, Roth erlebt einen Luftangriff der Amerikaner. 24 Stunden später fahren die US-Panzer durch die Stadt; Rathaus und Postamt werden eingenommen.

Neumarkt bleibt im Zweiten Weltkrieg lang verschont. Mitte April 1945 wird die Stadt jedoch evakuiert. Es kommt zu heftigen Gefechten zwischen der SS und den amerikanischen Soldaten: Panzer gegen Panzer. Am 22. April endet der Widerstand der Deutschen. Zu diesem Zeitpunkt liegen 92 Prozent des historischen Stadtkerns in Trümmern.

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