Vom Glück, eine Kindheit zu behüten

17.12.2020, 13:45 Uhr
Weil sie keine leiblichen Kinder bekommen können, nehmen ein Mann und eine Frau zwei kleine Kinder in Pflege. Das Paar erzählt von Tränen, Zweifeln und der festen Überzeugung: „Jedes Kind hat es verdient, behütet aufzuwachsen".

© Jens Kalaene Weil sie keine leiblichen Kinder bekommen können, nehmen ein Mann und eine Frau zwei kleine Kinder in Pflege. Das Paar erzählt von Tränen, Zweifeln und der festen Überzeugung: „Jedes Kind hat es verdient, behütet aufzuwachsen".

Die Essküche ist familientypisch chaotisch mit Murmelbahn und Büchern, und wenn Lea quengelt, zieht ihre Mutter eine Schublade mit Sand und Förmchen aus einer Kommode und stellt diese zum Spielen auf den Tisch. Für die Tochter und ihren Bruder Max (Namen von der Redaktion geändert) haben die Eltern einen hölzernen Stuhl gebaut, auf dem die Kleinen sehen können, was in den Töpfen auf dem Herd kocht, aber nicht an die heißen Platten gelangen können. An den Wänden hängen Familienfotos, dicht an dicht. Unter dem Esstisch schnauft ein Hündchen. Mama, Papa, Mädchen, Junge, Hund – alle zusammen in einem Häuschen mit Garten. Idyllisch.

"Wir haben ein Mädchen"

Um diese Familie zu werden, haben die Eltern vor drei Jahren ein polizeiliches Führungszeugnis abgegeben. Sie haben ihre Einkommensverhältnisse offenbart, sie haben dem Pflegekinderdienst der Rummelsberger Diakonie gesagt, welches Alter und welches Geschlecht sie sich bei einem Kind vorstellen. Sie haben an vielen Wochenenden an einem Kurs teilgenommen, der sie darauf vorbereitet, Pflegeeltern zu werden.

Die Frau und der Mann, beide in den 40ern, erzählen: „Wir können keine eigenen Kinder bekommen. Eine Adoption erscheint uns hier in Deutschland aussichtslos, da muss man sehr lange warten. Für uns stand fest: Wir nehmen ein Pflegekind auf.“ Im Juni 2017 kam der Anruf von der Diakonie: Sie hätten ein Mädchen aus Nürnberg, zwei Monate alt. Die Frau und der Mann lernen das Baby kennen, diese Phase heißt „Anbahnung“. Sie richten das Kinderzimmer ein, einmal dürfen sie Lea mit nach Hause nehmen. Dann, im Juli, bleibt Lea bei den beiden.

Es handelt sich um eine Vollzeitpflege, Lea wird voraussichtlich auf Dauer bei ihnen leben. Sie wird aber nicht adoptiert, denn Pflegschaft ist keine verzögerte Adoption, sondern Hilfe bei der Erziehung – in einer fremden Familie. „Wir haben uns auf alles Mögliche vorbereitet, aber als die Kleine da war, war es einfach überwältigend“, erinnert sich der Mann. „Alle in der Verwandtschaft haben sich für uns gefreut, für unsere Eltern war Lea ihr Enkelkind – und fertig! Das war von Anfang an nie ein Thema“, sagt die Frau.

Ein neues Leben

Entscheidet man sich für ein Pflegekind, entscheidet man sich auch dafür, viele Menschen in sein Leben treten zu lassen. Das Pflegekind hat leibliche Eltern, die das Sorgerecht behalten und damit beispielsweise bestimmen, welche Schule besucht wird und ob das Kind ein Sparbuch eröffnen darf. Das Pflegekind hat leibliche Verwandte, die den Kontakt halten möchten. Alle vier Wochen treffen sich das Pflegekind und seine leiblichen Eltern. Sozialarbeiter begleiten den Alltag.

Das ist sinnvoll, denn jeder Mensch trägt seine Vergangenheit mit sich. Der „Rucksack“ eines Pflegekindes, gerade eines älteren, können Vernachlässigung oder Bindungsprobleme sein, die Kinder können aggressiv sein, distanzlos, oder sie weigern sich, Grenzen zu akzeptieren. Irgendwann erzählte die leibliche Oma der Frau und dem Mann: Leas älterer Halbbruder Max soll auch in Pflege gegeben werden. „Mensch, schade, dann sehen Lea und er sich nicht mehr so oft“, denkt die Frau noch. Dann kommt wieder ein Anruf der Rummelsberger. Im März 2018 zieht Max bei ihnen ein. Zu dem Baby kam ein Kleinkind dazu.

Kribbelnde Unruhe

Die Frau und der Mann bemühen sich um klare Regeln, um Strukturen, um einen Rahmen, der die junge Familie zusammenhält. Zunächst ist Max immer aufgestanden beim Essen, es kribbelte ihn vor Unruhe, er aß kaum. Im Kinderbett schlief er klein zusammengerollt in einer Ecke. Lea ist nun drei. Sie wacht jede Nacht um 23 Uhr auf, keiner weiß, warum. Weil sie Epilepsie hat, ist sie oft beim Arzt, die Frau und der Mann haben einen heilpädagogischen Kindergarten für sie gefunden. Max ist fast fünf, mehrmals die Woche ist er bei der Frühförderung.

Der Mann ist Handwerker und unter der Woche viel unterwegs. Die Frau hat drei Jahre Elternzeit genommen. Beide erzählen von Tränen, Zweifeln und der festen Überzeugung: „Jedes Kind hat es verdient, behütet aufzuwachsen. Wir versuchen, das Bestmögliche zu geben. Aber beide müssen es selbst wollen. Man kann niemanden dazu überreden.“ Die Frau und der Mann sind Mutter und Vater geworden.

Was die Zukunft bringt, ist ungewiss. Wenn Max und Lea in der Schule sind, wundern sie sich vielleicht über ihren Nachnamen, der anders ist als der von Mama und Papa. Wenn sie in der Pubertät sind, wird ihre Herkunft sie vielleicht stark beschäftigen. Ihre Eltern sagen: „Egal, wie anstrengend das ist: Die Mäuse sind das wert. Wir sind glücklich.“

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