Wider das Vergessen

6.11.2013, 15:39 Uhr
Die Homepage über das Projekt „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“ ist neu gestaltet worden.

Die Homepage über das Projekt „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“ ist neu gestaltet worden.

Heute, kurz vor dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, die auch in Gunzenhausen ihre hässlichen Spuren hinterließ, darf das Projekt als vorbildlich angesehen werden. Davon ist nicht nur Bürgermeister Joachim Federschmidt überzeugt.
Bisher schon wurde das, was die Schüler über die NS-Zeit und allgemein über die jüdischen Mitbürger von Gunzenhausen und ihre Wohnhäuser herausgefunden haben, im Internet dargestellt. Dazu diente die Homepage der Stephani-Hauptschule (inzwischen: Mittelschule). Die Präsentation wuchs und wuchs und nahm schließlich ungeahnte Ausmaße an, was auch in technischer Hinsicht zu einer immer größeren Herausforderung wurde. „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“ erwies sich stets als eine Fundgrube für alle, die an der Geschichte der Altmühlstadt interessiert sind.
Dabei soll es auch bleiben, so die Intention der betreuenden Lehrkräfte Franz Müller und Emmi Hetzner sowie der Stadtverwaltung. Mit vereinten Kräften wurde nun die neue Homepage www.jl-gunzenhausen.de entwickelt. „jl“ bedeutet jüdisches Leben. Die Website steht ab sofort zur Verfügung. Die Mittelschule arbeitete bei der Neugestaltung eng mit dem städtischen Medienbeauftragten Horst Schäfer zusammen. Das Rathaus gab auch Geld für die Überarbeitung der Website. Vor allem aber gelang es, die Hochschule Ansbach, konkret den Studiengang Multimedia und Kommunikation, Schwerpunkt Medieninformatik, mit ins Boot zu nehmen (wir berichteten ausführlich).
„Die Studierenden Lena Matthussek, Katharina Röttenbacher und Christina Walter leisteten mit ihrem Professor Dr. Helmut Roderus hervorragende Arbeit“, waren sich Joachim Federschmidt, Horst Schäfer, Franz Müller und Emmi Hetzner bei einer Pressekonferenz im Haus des Gastes einig. Die Studentinnen hätten mit technischer Perfektion modernstes Webdesign angewendet und mit großem Einfühlungsvermögen die Projektergebnisse durchgehend neu strukturiert. Die Neugestaltung habe sich im Lauf der Zeit als sehr aufwendig und anspruchsvoll erwiesen. Die jungen Leute aus Ansbach hätten die Aufgabe vorbildlich angepackt und erledigt, betonte Horst Schäfer. Er wies darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit der Hochschule zum beiderseitigen Nutzen war und bleiben soll. Es komme der Stadt nicht darauf an, von Studierenden eine Leistung zu günstigen Konditionen erbracht zu bekommen. Vielmehr wolle man der Hochschule „spannende Sachen“ bieten, die zu den Anforderungen des Studiengangs passen.
www.jl-gunzenhausen.de gliedert sich auf in Projekt, Geschichte, Personen, Orte & Häuser und Reaktionen. Die Seiten sind auf allen internetfähigen Geräten darstellbar, zum Beispiel auf dem iPhone. Es gibt unglaublich viele Links, unabhängig davon finden sich die Besucher schnell zurecht. Die Website ist zweisprachig, wobei die Übersetzung ins Englische noch nicht abgeschlossen ist.
Franz Müller wies darauf hin, dass der Besuch der Homepage natürlich für die heimische Bevölkerung lohnend ist. Genauso wichtig sei allerdings, dass ehemalige jüdische Bürger von Gunzenhausen und ihre Nachkommen hier eine Fundgrube für Erinnerung, Familienforschung und Kontaktaufnahme haben. Über die Jahre hinweg gab es starke emotionale Reaktionen aus aller Welt auf „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“. Das mündete in Besuche in Gunzenhausen, bei denen es oftmals – wenn auch nicht immer – gelang, aus dem Schatten der unseligen Geschichte des Nationalsozialismus herauszutreten. Es gab Begegnungen mit Herzlichkeit und Dankbarkeit.
Franz Müller und Emmi Hetzner nannten als Beispiel die Familie Dottenheimer. Diese erlitt Vertreibung und Vernichtung, nur Fred Dottenheimer verließ Deutschland rechtzeitig und ging in die USA. Heute heißt die Familie Dottheim-Brooks. Zur Bat Mitzvah (Fest der religiösen Mündigkeit) von Kara Brooks wurde der damalige Bürgermeister Gerhard Trautner nach New York eingeladen. Er erkannte darin eine großartige Geste der Verzeihung und Versöhnung. Eine Rolle spielte bei der Zeremonie in New York auch das wertvolle Thora-Schild der Familie. Es wurde von anonymer Seite der Gunzenhäuser Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. In der „Reichskristallnacht“ war es gestohlen worden. Die Familie Dottheim-Brooks überließ das Schild dem Jüdischen Museum in Fürth als Dauerleihgabe. Es war auch schon in Gunzenhausen zu sehen.
Oder die Geschichte der Familie Weinmann: Sie emigrierte im Jahr 1937 nach Argentinien. Das Ehepaar Max und Edith Weinmann hielt sich im Jahr 2001 in Gunzenhausen auf, und es kam zu einem Gespräch mit Hauptschülern. Sie hörten folgende Mahnung von Edith Weinmann: „Wir hassen nicht, aber wir können auch nicht vergessen. Ich rate euch, nicht zu hassen. Der, der hasst, ist immer der Ärmere. Zwischen den beiden Extremen Hass und Liebe ist viel Raum für andere Formen zwischenmenschlicher Beziehungen, zum Beispiel für Respekt voreinander.“ Später sandte Edith Weinmann ein Dankschreiben nach Gunzenhausen. Es habe sie sehr gerührt, nach all den schlimmen Taten, die hier geschehen seien, so viel menschliche Wärme gespürt und wertvolle Menschen kennengelernt zu haben. Max Weinmann nutzte bei dem Besuch die Gelegenheit, sein Elternhaus in der Luitpoldstraße aufzusuchen – ein kurzer Weg, der ihm unendlich viel bedeutete.
„In den 13 Jahren gab es viele berührende Momente und Sachen für Lehrer wie Schüler“, fasste der ehemalige Rektor Franz Müller zusammen. „Es war für alle Beteiligten eine persönliche Bereicherung.“ Das spiegle sich in der Internetpräsentation wider. Bürgermeister Federschmidt sagte, das Projekt habe viele gute Ergebnisse erbracht. Es habe bewirkt, dass Wichtiges nicht verloren gegangen sei. Und noch immer gingen im Rathaus viele Reaktionen ein, und das Stadtarchiv erhalte neue Erkenntnisse und interessantes historisches Material.
Für die Stadt stelle sich über den 75. Jahrestag der Reichspogromnacht hinaus die Aufgabe, sich der Geschichte zu stellen. Nächstes Jahr jähre sich der „Blutige Palmsonntag“ in Gunzenhausen zum 80. Mal. Auch dem wolle man in gebührender Weise gerecht werden, kündigte der Bürgermeister an.

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