Exot mit langer Geschichte

8.10.2015, 08:50 Uhr
Exot mit langer Geschichte

© Stephan

Gerd Meyer steht im Gewächshaus seiner Gärtnerei am Lehenwiesenweg, inmitten von Maulbeerbäumen. „Jordanien, Kasachstan, Israel“, zählt er deren Herkunft auf, als er die Reihe der jungen Bäume abschreitet: alle in seiner Gärtnerei nachgezüchtet und bereit für den Einsatz in Altmühlfranken.

Schließlich ist er bei dem schmächtigsten der jungen Maulbeeren angelangt. „Mathildes Traum“, steht auf den Etiketten. Die Pflanzen sehen unscheinbar aus, aber ihre Trie­be bergen ein gewaltiges Erbgut. Es handelt sich um die aufgepfropften Reiser des wohl ältesten Maulbeerbaums Deutschlands. Mehr als 1 000 Jahre alt soll der Baum in der Abtei Brauweiler im Rheinland sein.
In jedem Fall ist die Nachzucht in Weißenburg eine kleine botanische Sensation.

„Meyer hat die glückliche Vermehrung, die nachweisbar seit mehr als 120 Jahren nicht gelang, vollbracht!!!“, freut sich der renommierte deutsche Gartenhistoriker Michael Seiler in einer E-Mail. „Es ist nicht leicht, aber es geht, wenn man den ganzen Winter nichts anderes macht“, sagt der gelobte Gärtner selbst. Die Nachzucht von seltenen Pflanzen, von vergessenen Gewächsen, die in der Region eine Heimat haben, sich aber in kaum einem Garten mehr finden, ist seine Leidenschaft. Die berühmte Maulbeere soll eines Tages  auch für die Kunden in seinem Geschäft zu kaufen sein. „Mathildas Traum“ könnte dann in manchen Vorgarten wandern und sich so bis ins Jahr 3015 bester Gesundheit erfreuen.

Schüler mussten Raupen züchten

Exot mit langer Geschichte

© Stephan

Um Maulbeeren zu sehen, muss man aber nicht bis nach Brauweiler oder
in Meyers Gewächshaus. Es reicht ein Gang über den Lehenwiesenweg. Eine Maulbeerhecke ziert die Grundstücksgrenze des N-Ergie-Gebäudes. Und auch im Weißenburger Stadtgraben in der Nähe des Ellinger Tors, auf der Ludwigshöhe, in Pleinfeld, Solnhofen oder Meinheim gibt es alte Bestände. Zum Teil handelt es sich um die grünen Reste des Nationalsozialismus. Schon in den 1930er-Jahren waren die Gemeinden aufgefordert worden, Maulbeerbäume zu pflanzen. Deren Blätter sollten die Raupen ernähren, aus deren Kokons sich Seide spinnen lässt. Ein kleiner Schritt bei dem großen Projekt der möglichst vollständigen Selbstversorgung Deutschlands.

Zukunft als Stadtbaum?

Acht Jahre lang wurde an der Weißenburger Zentralschule und der Schule in Pleinfeld tatsächlich Seide produziert – auf Geheiß des Schulamtes. „Es mussten Schüler der 5. Klasse jeden Tag, egal, ob Wochenende oder Ferien, antreten und diese Raupen pflegen“, erzählte der Weißenburger Lehrer Gerhard Grimm unlängst dem Bayerischen Rundfunk. Sein Großvater Konrad Bach war an der Schule für das Programm verantwortlich.

„Wir wissen, dass die das dann abgeliefert haben an die Mitteldeutsche Spinnhütte in Apolda und eigentlich einen sehr guten Erfolg erzielt haben“, so Grimm weiter. Hohe Qualität und kaum Ausschuss zeichnete die Weißenburger Seidenproduktion aus. Sie diente allerdings einem eher uner­freulichem Zweck: der Produktion von Fallschirmen für die deutsche Luftwaffe.

Das Tausendjährige Reich ist längst Vergangenheit, einige Maulbeerbäume aber haben überlebt. Und Gerd Meyer will dafür sorgen, dass sie das auch länger tun. Eine der Weißenburger Sorten und eine Pleinfelder hat er bereits nachgezüchtet. Geht es nach dem Gärtner, dann taucht die Maulbeere bald auch auf den fränkischen Streuobstwiesen auf. Die  Bäume würden sich dort gut machen, findet er. Sie bieten vielen Tieren Nahrung, liefern höchst gesunde Beeren und weniger heimisch als die ebenfalls zugewanderten Apfelbaum-Züchtungen seien sie auch nicht.

„Wo die Römer auch hinkamen, ha­ben sie Maulbeeren gepflanzt, weil sie wussten, dass die wahnsinnig gesund sind“, erklärt Meyer. Er ist überzeugt, dass es den Baum bereits seit der Antike in der Region gibt. Und im Mittelalter war er ohnehin beliebt. Karl der Große, nachweislich ebenfalls in der Region zu Gast, hat gar einen Erlass verfügt, dass in jeder Kaiserpfalz Maulbeerbäume gepflanzt werden sollen. In Zukunft könnte dem Exoten wieder ein Aufschwung blühen – als Stadtbaum, der bestens mit Hitze und Trockenheit umgehen kann. Da zeigt sich dann doch seine Herkunft aus wärmeren Gefilden.

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