Chronisch krank: Ist Autofahren noch erlaubt?

11.11.2019, 14:35 Uhr
Chronisch krank: Ist Autofahren noch erlaubt?

© rawpixel/Pixabay

Als Anfang September in Berlin ein Porsche Macan in eine Gruppe von Fußgängern raste, war das Entsetzen über die vier Todesopfer – unter ihnen ein Kleinkind - groß. Nach bisherigem Kenntnisstand hatte der Fahrer wegen eines epileptischen Anfalls die Kontrolle über sein Auto verloren.

Vorfälle wie dieser werfen die Frage auf, ob und unter welchen Umständen chronisch Kranke überhaupt ans Steuer dürfen. Eine Gratwanderung: Einerseits soll dem Patienten noch die Teilnahme am mobilen Leben ermöglicht werden. Andererseits gilt es, ihn selbst und auch die Allgemeinheit vor schlimmen Unglücksfällen zu schützen.

Selbst Bluthochdruck kann gefährlich werden

"Nahezu jede chronische Krankheit kann zu fahreignungsrelevanten Auswirkungen führen", sagt Dr. Renate Zunft, Mitglied des Ausschusses Verkehrsmedizin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR). Koronare Herzerkrankungen sind ein Beispiel für solche Erkrankungen, Diabetes mellitus, Parkinson, Schlaganfall und Epilepsie weitere. Auch Schlafapnoe und psychische Krankheiten wie Depressionen besitzen Problem-Potenzial. Selbst eine Volkskrankheit wie Bluthochdruck kann gefährlich werden – dann nämlich, wenn mangels Behandlung dauerhaft erhöhte oder stark schwankende Blutdruckwerte auftreten. Ähnlich verhält es sich bei Nierenerkrankungen mit Dialysepflicht oder Hirndurchblutungsstörungen mit der Folge von Hirninfarkten (Schlaganfällen).

Im Jahr 2016 hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in 1313 Fällen wegen "körperlicher oder geistiger Mängel" den Führerschein entzogen. Mit welchen Krankheiten man wann hinters Steuer darf, ist letztlich in den sogenannten " Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung" geregelt.

Wer einen Führerschein beantragt, wird noch nach Vorerkrankungen gefragt, denn nach Paragraf 11 der Fahrerlaubnisverordnung muss ein Bewerber oder Inhaber eines Führerscheins die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. "Das Ausfüllen des Fragebogens ist jedoch freiwillig", sagt Dr. Zunft. Eine nähere Abklärung kann die Führerscheinbehörde nur verlangen, wenn konkrete Hinweise auf Einschränkungen vorliegen. Die Krankheit selbst wird nicht in den Führerschein eingetragen, wohl aber eventuelle Auflagen und Beschränkungen. "Damit darf der Betroffene dann nur unter bestimmten Bedingungen fahren oder nur bestimmte Fahrzeuge führen", erklärt die Medizinerin.

Erkrankungen, die erst im späteren Leben des Führerscheinbesitzers auftreten, werden freilich nicht mehr thematisiert. "Eine Meldepflicht gibt es nicht", betont Dr. Zunft, die Verantwortung liege zunächst beim Kranken. Wenn der Arzt aber auf eine mögliche Einschränkung der Fahreignung hinweist, sollte der Patient die Angelegenheit dringend durch weitere Untersuchungen klären lassen, um straf- oder versicherungsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Hohes Gut: Die ärztliche Schweigepflicht

Dabei steht der Arzt nicht in der Pflicht, Informationen über Erkrankungen an die Fahrerlaubnisbehörden weiterzugeben – auch nicht, wenn eine Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit vorliegt. "Ärzte müssen ihre Schweigepflicht nicht brechen", sagt Dr. Zunft. Eine solche Maßnahme wird erst dann relevant, wenn der Mediziner eine direkte Gefahr erwartet, wenn sich beispielsweise ein Patient bei unzureichend behandelter Epilepsie ans Steuer setzen will .

Schwerwiegende Konsequenzen drohen

Schwerwiegende Konsequenzen drohen dem Erkrankten aber, wenn er bei einer Polizeikontrolle auffällt oder wenn es gar zu einem Unfall kommt. In diesem Fall ordnet die Führerscheinstelle möglicherweise eine verkehrsmedizinische Begutachtung in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder bei einem Facharzt mit entsprechender Qualifikation an. Kommt der Betroffene dieser Aufforderung nicht nach oder führt das Gutachten zu einem negativen Ergebnis, kann sein Führerschein eingezogen werden.

Zwar darf sich der Beschuldigte auf sein Schweigerecht berufen, er muss Polizei oder Staatsanwaltschaft also nicht über seine Krankheit informieren. Wird aber festgestellt, dass der Patient gefahren ist, obwohl er vom Arzt – was dieser sich schriftlich bestätigen lassen kann - ausdrücklich auf seine Fahruntüchtigkeit hingewiesen wurde, so wird es eng: Ein Bußgeld steht dann ebenso im Raum wie Führerscheinentzug und eine strafrechtliche Verfolgung der Angelegenheit. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Haftpflichtversicherung den Unfallverursacher in Regress nimmt – und die Kaskoversicherung ihre Leistung verweigert.

Kein Ende des motorisierten Lebens

Selbst Diagnosen wie Epilepsie bedeuten übrigens nicht zwangsweise das Ende des motorisiert-mobilen Lebens. "Wenn die Erkrankung ausreichend behandelt ist und epileptische Anfälle nicht mehr zu erwarten sind", so Dr. Zunft, darf der Patient durchaus ans Steuer. Erwartet wird in diesem Zusammenhang ein Jahr Anfallsfreiheit bei guter Überwachung und ein ebenso einsichtiges wie angepasstes Verhalten des Erkrankten.

Schwierig stellt sich die Situation bei Demenzerkrankungen dar. Hier gilt es zu beurteilen, in welchem Maße die kognitiven Fähigkeiten – Aufmerksamkeit beispielsweise oder Orientierungsvermögen -  noch gegeben sind oder ob Persönlichkeitsveränderungen und weitere krankheitsbedingte Einschränkungen bereits problematische Ausmaße angenommen haben.

Eigenverantwortung ist gefragt

Letztlich kommt es in erster Linie auf eigenverantwortliches Handeln an. Darauf immer wieder hinzuweisen, obliegt freilich nicht nur den Ärzten, sondern auch dem sozialen Umfeld des Erkrankten – die Familie ist hier ebenso gefragt wie Freunde oder Bekannte. Dringender Appell: Wer von einer ernsten Erkrankung betroffen ist, sollte unbedingt seinen Arzt auf Einschränkungen beim Autofahren ansprechen.

Ulla Ellmer

 

 

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