Neuer Ford Focus: Dem Golf auf den Fersen

27.6.2018, 16:58 Uhr
Neuer Ford Focus: Dem Golf auf den Fersen

© Hersteller

Sechzehn Elefanten hat der neue Focus im Zuge seiner Entwicklung verschlissen: Wenn man die Unmengen an Modellierton heranzieht, die in den diversen Designentwürfen verskulpturiert wurde, sieht sich gewichtstechnisch eine ganze Herde von Dickhäutern verarbeitet. Zusammen mit dem kleineren Fiesta ist der Focus europäischer Topseller der Marke. Da sollte besser nichts schiefgehen beim Wechsel auf die neue Generation, die Ford unter dem coolen Namen "Focus Mark IV" führt und die technologisch zur zuletzt ziemlich enteilten Konkurrenz aufschließen muss.

Im September fährt Fords Golf-Konkurrent also in ein neues Leben, als Fünftürer und als Kombi "Turnier". Die Stufenhecklimousine kommt mangels Käuferinteresse nicht auf den deutschen Markt.

As erster Ford basiert der Focus auf der neuen Konzernarchitektur C2. Die Tonnen verbauten Tons mündeten schließlich in einen ansehnlichen Kompakten, der sich im Vorgängervergleich um knapp zwei Zentimeter gestreckt hat, gleichzeitig aber auch einen Tick breiter und flacher geworden ist; ein gern genutzter Designkniff, um ein Fahrzeug sportlicher aussehen zu lassen. Einen stärkeren Eindruck als das eher beliebige Heck hinterlässt die Front mit dem markanten Kühlergrill, der speziell beim luxuriösen Topmodell "Vignale" eine schicke Wabenstruktur zeigt.

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Wo bleibt das volldigitale Cockpit?

Für sein veraltetes Instrumentenlayout hat der Vorgänger-Focus viel Kritik einstecken müssen, zu unübersichtlich die Knöpfchenvielfalt, zu klein der Bildschirm. Stolz verweist Ford beim neuen Model auf die Läuterung, 50 Prozent weniger physische Bedienelemente also und einen großen Achtzoll-Touchscreen, der in Smartphone-Manier auf Wisch- und Ziehbewegungen reagiert. Schön und gut, nur: Die Mitbewerber sind schon wieder einen Schritt weiter. Vom coolen MBUX-Cockpit der neuen Mercedes A-Klasse wollen wir nicht reden, das ist Premium. Aber selbst ein Kia Ceed bekommt im nächsten Jahr das, was auch ein Peugeot 308 schon hat, nämlich ein volldigitales Kombiinstrument. Der Focus muss in dieser Beziehung passen. Die Kunden verlangten nicht danach, sagt Baureihenleiter Helmut Reder und führt außerdem das Kostenargument ins Feld - ebenso wie beim farbigen und individuell konfigurierbaren Head-up-Display, dessen Anzeige nicht in die Windschutzscheibe, sondern auf eine ausfahrbare Scheibe projiziert wird; eine Lösung, die in dieser Fahrzeugklasse aber zugegebenermaßen Usus ist.

Ansonsten überzeugt der Focus aber mit soliden und wertigen Materialien, mit viel Platz auch für die Hinterbänkler und mit dem Komfort der optionalen, 18-fach verstellbaren Ergonomiesitze (ausstattungsabhängig ab 400 Euro). Im Kofferraum verschwinden jetzt 341 bis 1.354 Liter, das ist weniger als beim VW Golf (360 l), Opel Astra (370 l) oder Kia Ceed (395 l). Der "Turnier" packt 575 bis 1.620 l weg, als vorteilhaft erweisen sich hier die sensorgesteuerte Heckklappe und jener Stauraum, der bei Nichtgebrauch die Gepäckraumabdeckung aufnimmt.

Meisterhaftes Fahrverhalten

Traditionell ein Ruhmesblatt im Focus-Geschichtsbuch ist die Fahrdynamik. Auch beim neuen Modell haben die Fahrwerksingenieure meisterliche Arbeit geleistet. Wunderbar ambitioniert, handlingstark und präzise kurvt der Focus über das schlängelige Geläuf südfranzösischer Landsträßchen, die Lenkung unterstützt solch sportliche Unternehmungen mit aller gebotenen Präzision. Die motorseitig schwächeren Varianten nutzen eine Verbundlenker-Hinterachse, die stärkeren arbeiten mit einem Multilink-Konstrukt, im Turnier ist es serienmäßig verbaut.

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Verfeinern lässt sich das Fahrverhalten jetzt durch eine adaptive elektronische Dämpferregelung (1.000 Euro), immer an Bord befindet sich der Fahrmodusschalter mit Wahlmöglichkeit zwischen Normal, Sport und Eco.

Was die Motorisierung betrifft, so stellt Ford für den Focus acht Kandidaten auf. Bei den Benzinern handelt es sich durchweg um Ecoboost-Dreizylinder, die im Teillastbereich den mittleren Zylinder in die Pause schicken. Ein Update hat die bekannte Einliter-Maschine mit wahlweise 85, 100 oder 125 PS erfahren, als stärkere Lösung dient sich das komplett neue 1,5-l-Triebwerk mit 150 bzw. 182 PS an. Auch weil der Focus gern von Flottenkunden und Vielfahrern erwählt wird, die häufig auf Langstrecke gehen, hält er dem Diesel die Treue und stellt neben einem 1,5-l-Vierzylinder in den Leistungsstufen 95 und 120 PS noch einen Zweiliter-Motor mit 150 PS bereit. Alle Motoren erfüllen Euro 6d-Temp, die Benziner mithilfe eines Ottopartikelfilters (OPF), der 1,5-l-Diesel nutzt zwei hintereinander geschaltete "Stickoxid-Fallen", der Zweiliter-Selbstzünder SCR-Kat und AdBlue.

Mildhybrid kommt 2020

Diskutiert wird bei Ford noch über die Einführung eines stärkeren Diesels, als gesetzt gilt hingegen ein Mildhybrid mit 48-Volt-Technologie, der 2020 kommen soll.

Weil sich auch beim Focus-Kunden zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass Automatik schlicht eine komfortable Angelegenheit ist und keineswegs ein Indiz für unzureichende fahrerische Qualitäten, nimmt bei den Benzinern mit 125/150 PS und bei den Dieseln mit 120/150 PS alternativ zum Sechsganggetriebe ein schnell und punktgenau arbeitender Achtgang-Wandlerautomat die Schaltarbeit ab. Die Fahrstufen werden dabei über einen Drehknopf angesteuert, eine elegante Lösung, die man von Jaguar LandRover kennt.

Auf zeitgemäßes Niveau aufgestockt wurde das elektronische Dienstpersonal. Zusammengefasst unter dem vielsagenden Oberbegriff "Co-Pilot360" entwickelt der Focus unter anderem die Kompetenz zum teilautomatisierten Fahren auf Level 2 (Stau-Assistent mit Stop&Go-Funktion, Parkassistent), er erkennt die Gefahr einer drohenden Kollision und liefert Lenkunterstützung beim Umfahren des Hindernisses, auch eine Falschfahrer-Warnfunktion gibt es. Die MyKey-Funktion kennt man schon, Eltern lieben sie, der buchstäblich unerfahrene Nachwuchs weniger, denn durch entsprechende Programmierung des Schlüssels lässt sich beispielsweise die Höchstgeschwindigkeit begrenzen.

Das freut die Digital Natives

Schon eher dürften die jungen Digital Natives die Segnungen des Infotainments schätzen, zu denen etwa ein WLAN-Hotspot für bis zu zehn Endgeräte, induktives Smartphone-Laden, Echtzeit-Verkehrsinfos oder die App "FordPass" gehören, über die sich das Fahrzeug orten und aus der Ferne ent- bzw. verriegeln lässt und über die Naviziele einprogrammiert oder der Status von Tankfüllung und Alarmanlage abgefragt werden können.

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Active-Modell im Crossover-Look

Der Einstieg ins Focus-Universum erfolgt mit dem "Trend"-Modell zu 18.700 Euro, zu dessen Mitgift ein Fahrspur-Assistent, Audiosystem, Tempomat, Klimaanlage und das erwähnte MyKey-Schlüsselsystem gehören. Dieser Einsteiger dürfte freilich eine Randerscheinung in der Verkaufsstatistik bleiben, zumal ihm Extras wie Head-up-Display, Easy-Parking- oder Technologie-Paket (u.a. adaptiver Tempomat, Verkehrszeichenerkennung, Fernlichtassistent) verwehrt bleiben. Die besseren Versionen heißen Cool&Connect, ST-Line (dezidiert sportlich ambitioniert), Titanium oder Vignale, letzteres die luxuriöseste Daseinsform des Focus. Viel verspricht sich Ford zudem von der Crossover-Variante "Active", die sowohl für Fünftürer als auch für den Kombi "Turnier" Anfang 2019 nachgeschoben wird.

Donald Trump, der bekanntlich mehr amerikanische Autos auf europäischen Straßen sehen will, dürfte wohlgefällig auf den Karrierestart des Ford Focus Mark IV blicken. Nun ja, oder auch nicht. Produziert wird der Kompakte nämlich fernab der USA, in China, vor allem aber im saarländischen Saarlouis. In den Vereinigten Staaten ist er somit Importware und wäre folglich ein Fall für Einführzölle.

Ulla Ellmer

Ford Focus in Kürze:

Wann er kommt: Im September 2018

Wen er ins Visier nimmt: VW Golf, Opel Astra, Peugeot 308, Kia Ceed, Hyundai i30 etc.

Was ihn antreibt: Dreizylinder-Benziner mit 85 bis 182 PS, Vierzylinder-Diesel mit 95 bis 150 PS

Was er kostet: Ab 18.700 Euro

Was noch folgt: Crossover-Variante "Active" (Anfang 2019), Mildhybrid (2020), eventuell ein stärkerer Diesel

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