Nötigung ist kein Kavaliersdelikt

15.5.2021, 20:06 Uhr
Nötigung ist kein Kavaliersdelikt

© ampnet/ADAC

Der Straßenverkehr kann ein rauer Ort sein. Aus der weitgehenden Anonymität des Autos heraus wird gedrängelt, gern unter Betätigung der Lichthupe, ausgebremst oder mit bösen Gesten beleidigt.

Den derart angegangenen Verkehrsteilnehmern fällt zumeist das Stichwort "Nötigung" ein. Was aber hat es damit auf sich? "Die Nötigung im Straßenverkehr an sich wird in keinem Paragraphen erwähnt", sagt Rechtsanwalt Frank Preidel von der Kanzlei Preidel Burmester, der als Partneranwalt für die Roland-Rechtsschutzversicherung tätig ist. Aber: Es gelangt Paragraph 240 des Strafgesetzbuches (StGB) zur Anwendung, in dem der allgemeine Straftatbestand der Nötigung behandelt wird. Dementsprechend liegt eine Nötigung im Straßenverkehr dann vor, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer mit verkehrswidrigem Verhalten vorsätzlich unter Druck gesetzt wird, sodass er sich zu einem bestimmten unfreiwilligen Handeln gezwungen, also genötigt, sieht.

Drängler an der Stoßstange

Die wohl am häufigsten nervende Manifestation dessen, was hier im Juristendeutsch formuliert wird, ist der Drängler. Mit hoher Geschwindigkeit rückt er dem Vordermann auf die Pelle, klebt gefühlt an der Stoßstange und orchestriert dabei ein wütendes Lichthupenkonzert – mit dem Ziel, den Vorausfahrenden zum Schnellerfahren oder Ausweichen auf eine andere Fahrspur zu bewegen. In diesem Fall, so Preidel, liege unzweifelhaft zumindest eine versuchte Nötigung vor. Die Kombination macht es in diesem Fall, denn kurzzeitiges, dichtes Auffahren allein gilt nur als Ordnungswidrigkeit, und das Lichtzeichen per se ist nicht unbedingt strafbar.

Als Nötigung kann es auch gewertet werden, den Hintermann vorsätzlich auszubremsen, einen anderen Verkehrsteilnehmer zu "schneiden", ihn am Überholen zu hindern oder einen Parkplatz absichtlich zuzuparken beziehungsweise zu blockieren.

Geldstrafe, Fahrverbot, Freiheitsentzug

Wer der Nötigung überführt wird, muss mit empfindlichen Sanktionen rechnen. "Von der Geldstrafe bis zum zeitweisen oder gar dauerhaften Entzug der Fahrerlaubnis kann der Richter aus dem Vollen schöpfen", sagt Frank Preidel. Einige Beispiele für das, was passieren kann: Weil er das Fahrzeug eines Ehepaars "geschnitten" und dabei auch noch den Mittelfinger gezeigt hatte, wurde ein Taxifahrer mit 50 Tagessätzen und einem Monat Fahrverbot belegt. Ein Lkw-Fahrer wiederum, der einen anderen Brummi-Fahrer über eine Strecke von einem Kilometer hinweg auf Tempo 43 ausgebremst hatte, nachdem er von dem Kollegen unerlaubt überholt worden war, erhielt für diese spezielle Form der Selbstjustiz 50 Tagessätze und ein zweimonatiges Fahrverbot. "In besonders schweren oder wiederholten Fällen kann sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren angeordnet werden", warnt Preidel.

Stinkefinger: Kein Pardon

Um noch einmal auf den erhobenen Mittelfinger, sprich, den berüchtigten Stinkefinger, zurückzukommen: "Beleidigungen im Straßenverkehr fallen nicht zwangsweise unter den Tatbestand der Nötigung", erläutert Tobias Klingelhöfer von der ARAG-Rechtsschutzversicherung. Das aber schützt nicht vor Sanktionen. Denn auch die Beleidigung eines anderen Verkehrsteilnehmers gilt als Straftat, die – wie die Nötigung - mit einer Geld- oder sogar Freiheitsstrafe belegt werden kann. Speziell der Stinkefinger, so Klingelhöfer, werde in der Regel als schwerwiegenderes Vergehen aufgefasst. Aber auch auf Bemerkungen wie "Bei dir piept’s wohl", die bekannte Scheibenwischer-Geste oder unschöne Kraftausdrücke haben Gerichte schon strikt reagiert und empfindliche Geldstrafen bis in den vierstelligen Bereich verhängt.

Anzeige erstatten

Wer sich einer Nötigung ausgesetzt sieht, sollte "auf jeden Fall Anzeige erstatten", wie Klingelhöfer rät. Wichtige Angaben in diesem Zusammenhang sind das Kennzeichen des betreffenden Fahrzeugs, dessen Marke, Typ und Farbe sowie Näheres zum Fahrer wie dessen Aussehen. Hilfreich ist es zudem, Zeugen oder andere Beweismittel benennen zu können – damit die Angelegenheit nicht auf Aussage gegen Aussage hinausläuft.  

Ulla Ellmer