Darwins Theorie sorgt heute noch für Streit

20.5.2009, 00:00 Uhr
Darwins Theorie sorgt heute noch für Streit

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Herr Professor Vollmer, wie groß ist die Reichweite der evolutionären Grundidee in der Biologie und darüberhinaus.

Gerhard Vollmer:
In der Biologie ist es relativ leicht zu sagen. Die Evolutionstheorie vor allem von Darwin hat der Biologie eine Einheit geschenkt, die sie vorher nicht hatte. Vorher gab es Einzeldisziplinen wie Zoologie und Botanik. Die Idee der Evolution sorgte für ein einheitliches Grundmuster, das die Kommunikation unter den verschiedenen Wissenschaftlern enorm erleichterte. Die Folgen der Evolutionstheorie, die heute von Biologen fast als selbstverständlich vorausgesetzt wird, waren enorm. Zum Streitfall wird sie, sobald man den Bereich der Biologie verlässt. Zum Beispiel bei der Frage, ob der Evolutionsgedanke auch in den Geisteswissenschaften gelten soll, kann oder muss.

Und was meinen Sie? Kann man die Theorie übertragen?

Vollmer:
Probieren darf man alles. Aber da wird es eben auch schwierig, denn dabei wird eine naturwissenschaftliche Theorie in irgendeiner Weise übertragen und fruchtbar gemacht zum Beispiel für die Philosophie oder für die Sprachwissenschaft. Man fragt dann, ob es genetische Wurzeln gibt für unser Sprachverhalten, für unser Erkenntnisvermögen, unser moralisches Verhalten oder gar unser ästhetisches Urteil. Die Biologen haben mit solch einer Frage überhaupt keine Probleme und würden sie vermutlich mit «ja« beantworten. Da besteht zwischen Natur- und Geisteswissensachften eine erhebliche Kluft.

Wie beeinflusst Ihrer Meinung nach die Evolutionstheorie das Selbstverständnis des Menschen?

Vollmer:
Das ist eine vielschichtige Frage. Darwins Theorie ist in Konkurrenz zur Theorie von der Existenz Gottes entstanden. Darwin hat ja auch nur ein theologisches Examen gemacht. Dafür musste er die Argumente von William Paley kennen, der die Zielsetzung eines Schöpfers annimmt. Darwin war sich dieses Problems früh bewusst, hat sich aber in seinem Hauptwerk «Vom Ursprung der Arten« von 1859 nicht getraut, das ausführlich zu thematisiseren. Deshalb hat er den Menschen nur mit einem einzigen Satz am Ende einbezogen, um seine Kritiker nicht zu provozieren. Das hat ihm allerdings nicht viel geholfen, denn die Kritiker haben sofort gemerkt, dass man den Menschen da nicht einfach auslassen kann. Es ist also klar, dass Darwins erfolgreiche Theorie von Anfang an als Konkurrenz zu teleologischen Gottesbeweis begriffen wurde. Einen Beweis für die Nicht-Existenz Gottes liefert die Biologie freilich nicht.

Die meisten Christen haben heute kein Problem mit der Evolutionsbiologie. Spricht Ihrer Meinung nach Darwins Theorie gegen ein religiöses Weltbild?

Vollmer:
Jemand, der Darwin akzeptiert und zugleich religiös ist, ähnelt einem, der werktags als Wissenschaftler arbeitet und am Wochenende als Gläubiger in die Kirche geht. Nach Darwin sind ja alle Merkmale der Pflanzen, der Tiere und des Menschen Evolutionsprodukte. Die katholische Kirche hat inzwischen den Körper gewissermaßen der Biologie überlassen, aber um Geist und Seele wird gestritten. Die Seele, die weder in einer Ei- noch in einer Samenzelle vorhanden ist, wird nach kirchlicher Auffasung irgendwann nach der Zeugung eingepflanzt. Das klingt natürlich für naturwissenschaftlich geübte Zeitgenossen reichlich absurd. Darin sehe ich ein großes Konfliktpotenzial, denn die Evolutionstheorie wird einigen auch weiterhin nicht gefallen.