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Denken Sie bei "toxisch" nicht an Putin oder Johnny Depp. Sondern an Agavendicksaft!

11.6.2022, 10:57 Uhr
Der Saft der Agave wird als Süßungsmittel verwendet. Doch das ist nicht unbedingt gesund.

© Franz Smets/picture alliance/dpa, NN Der Saft der Agave wird als Süßungsmittel verwendet. Doch das ist nicht unbedingt gesund.

Ab welcher Menge Bier toxisch wird, muss jeder selbst erfahren.

Ab welcher Menge Bier toxisch wird, muss jeder selbst erfahren. © Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Achtung, Freunde des Obstes und von gesunder Ernährung! Jetzt, wo die Erdbeeren und die Johannis- und Himbeeren kiloweise reif werden, denkt daran: Zu viel davon zu essen, könnte unangenehme Folgen haben. Denn zum Beispiel Himbeeren sind kleine Giftkammern: Über 30 Aldehyde und Ketrone schlummern in ihnen, fast ebenso viele Alkohole, dazu kommen noch fast 20 giftige Ester und verschiedene Säuren. Und noch so einiges mehr.

Gerade Obst ist oft viel toxischer als man denkt, nicht zu vergessen der ganze Fruchtzucker, der der Leber ebenso zusetzen kann wie ein paar Maß Bergkirchweihbier zu viel. Da ist nur der süße Agavendicksaft in seiner ganzen Klebrigkeit schlimmer.

Führte Johnny Depp mit Amber Heard eine toxische Beziehung?

Führte Johnny Depp mit Amber Heard eine toxische Beziehung? © Jim Watson, dpa

Generell gilt: die Dosis macht das Gift, das allerdings gilt auch für den Begriff "toxisch" selbst. Dieser hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Toxisch nennen wir und die Medien, die sozialen Netzwerke und damit unser öffentliches Über-Ich inzwischen fast alles, was wir irgendwie nicht gut finden – oder gar schädlich.

Führte Amber Heard mit Johnny Depp eine toxische Beziehung?

Führte Amber Heard mit Johnny Depp eine toxische Beziehung? © Steve Helber, dpa

Wir reden von toxischen Beziehungen – siehe die in allen Details öffentlich ausgetragene Schlammschlacht zwischen Johnny Depp und Amber Heard – toxischer Männlichkeit; Putins Angriffskrieg ist toxisch, Arbeitsverhältnisse ebenso wie Freundschaften – und natürlich viele Verhaltensweisen: rauchen, trinken, rasen, sich hetzen, fette Pommes essen, Binge-Watching des ZDF-Fernsehgartens und so weiter.

Sehen schön aus, schmecken gut, sind aber ganz schön toxisch: Himbeeren.

Sehen schön aus, schmecken gut, sind aber ganz schön toxisch: Himbeeren. © Pixabay

Leider neigen viele Menschen dazu, ihr Weltbild so zu sortieren, dass sie vieles, was sie nicht gut finden oder nicht in ihre Sicht der Dinge passt, gleich als toxisch abqualifizieren. Doch da wird die Verwendung des Begriffes toxisch selber toxisch. Denn er impliziert, dass etwas von der Substanz her schon verdorben oder eben giftig ist. Und damit nicht mehr verbessert oder verändert werden kann.

Johnny Depp und Amber Heard gut zehn Jahre vor ihrer toxischen Schlammschlacht.

Johnny Depp und Amber Heard gut zehn Jahre vor ihrer toxischen Schlammschlacht. © Foto: dpa/ Picture Alliance

Deshalb wird es spätestens dann gefährlich, wenn man das Wort toxisch für bestimmte Menschen oder Gruppen benutzt. Das ist eine Stigmatisierung, die Unpersonen schafft – und damit das gesellschaftliche Klima vergiften und die so bezeichneten Menschen zu Freiwild erklären kann. Nicht zufällig hieß das von Julius Streicher herausgegebene, erfolgreichste Kinderbuch der Nazizeit „Der Giftpilz“.

Gilt als Vorreiter ins Sachen toxischer Männlichkeit: Wladimir Putin.

Gilt als Vorreiter ins Sachen toxischer Männlichkeit: Wladimir Putin. © Darko Vojinovic, dpa

Der Begriff „toxisch“ schiebt die Schuld immer auf das Andere, den Anderen, die Andere; er schafft das vermeintlich Böse, das uns angeblich von außen bedroht. Wir selber können es uns dann leichtmachen und uns als „gut“ betrachten. Verführerisch einfach, doch leider nicht zutreffend. Schon gar nicht, wenn wir uns selber vergiften und immer noch ein paar Himbeeren mehr naschen.

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