Die unerträgliche Seichtigkeit des Seins

21.4.2007, 00:00 Uhr

Mag das Handy im Alltag seinen plappernden Platz erobert haben, wenn es in der Literatur auftritt, erregt es Unbehagen. Genau aus diesem Grund wohl hat es Ingo Schulze in seinem Erzählband «Handy» als literarisches Versatzstück eingeführt. Es sind Geschichten über das Unbehagen in einer scheinbar behaglichen Umgebung. Allerdings kommt nicht in jeder Geschichte ein Handy vor. Manchmal wird auch über ein alt-normales Telephon kommuniziert.

Gehandelt wird auf einer Datschen-Anlage im Berliner Umland, in einer schon seit Monaten renovierten Bauruine, in einem Friseurladen in Manhattan, in Kairo, in Umbrien usw. Einen Spannungshöhepunkt erlebt der Leser bei einer vergeblichen Jagd auf eine Maus.

Ein Meister des Banalen

Was bedeutet nun «in alter Manier», wie es der Untertitel suggeriert? Dass Schulze wie die Alten schreibt und man die Erzählungen, nachdem ein Teil der Literaturkritik Schulzes Prosa zu Weltliteratur erklärt hat, mit Tschechow oder Maupassant vergleichen darf? Dazu sollte man sich, des Autors zuliebe, besser nicht verführen lassen. Aber auch modernere Autoren wie Marcel Aymé («Ein Mann geht durch die Wand»), Italo Calvino («Heikle Idyllen») oder der in München geborene Amerikaner Denis Johnson («Jesus Sohn»), allesamt Erzähler von Alltags-Geschichten in «alter Manier», können nicht zum Vergleich herangezogen werden.

Warum? Weil Schulze einfach unvergleichlich ist, das bemerkt man schon bald. Er schreibt eine Literatur, die bei dem begeisterten Zuspruch, der ihm widerfährt, leicht Schule mit internationalem Anspruch machen könnte: eine Art «New East Banalism». Denn Schulze ist ein Meister des Banalen. Es gibt eine Literatur, die die Welt als kaputt und das Leben als elend darstellt - und trotzdem fasziniert und bereichert. Andererseits wird uns eine Literatur aufgedrängt, die in ihrer Belanglosigkeit krank macht. Es ist schon stark, was Schulze dem Leser an selbstgefälligen Nichtigkeiten, an simplen Storys, zumutet. So glanz- und witzlos, so flach über der Oberfläche, dabei so trivial-gefällig - das können und wollen nur wenige.

Der Rezensent, der die Geschichten ja nicht einfach via Papiertonne entsorgen darf, sondern sie bis zu Ende ertragen muss, möchte an dieser Stelle einmal um Mitleid bitten. 280 Seiten! Wenn in den Geschichten wenigstens soviel Licht wäre, wie zwischen den Zeilen des Drucksatzes! Aber nein, sie rinnen und laschen mit ihren blassen Ichs und gesichtslosen Magdas, Mareks und Marcos dahin. Ob sich der Autor einmal gefragt hat, ob das, was er für aufschreibenswert hält, lesenswert ist?

Schulze ist ein absoluter Liebling unserer Print-Medien und Preisverleiher. Anders als mit einer Amour fou kann man auch nicht erklären, warum sie seine Literatur als «genial», «Wahnsinnstat», «Geniestreich», «Weltliteratur» (über seinen Briefroman «Neue Leben») hochpuschen und Schulze mit Preisen überhäufen.

Gefährliche Lobhudeleien

Natürlich sind solche Lobhudeleien gefährlich, denn sie drohen nicht nur den Autor zu verderben, der glaubt, alles richtig gemacht zu haben und uns womöglich noch weitere überflüssige Bücher beschert, sie zerstören auch alle Qualitäts-Maßstäbe. Oder sollte sich der Verdacht als begründet erweisen, dass Juroren und Lobpreisende der überwältigenden Mittelmäßigkeit des Gespriesenen nichts entgegenzusetzen haben? Der nicht mediengesteuerte Leser jedenfalls, der die Literatur mit dem Kauf des Buches am Leben hält, muss sich hintergangen fühlen. BERNHARD WINDISCH

Ingo Schulze: Handy - Dreizehn Geschichten in alter Manier. Berlin Verlag . 280 Seiten, 19,90 Euro