"Border": Fremde in einer mitleidlosen Welt

11.4.2019, 08:00 Uhr

© Wild Bunch

Dank Tinas außergewöhnlichem Spürsinn führen die Ermittlungen bald auf die richtige Fährte.

Ali Abbasis ebenso tief verstörender wie hochspannender Film "Border" mutet streckenweise an wie ein düsterer Krimi. Doch das Thrillerhafte ist für den iranisch-schwedischen Regisseur nur eine Zutat für eine viel weitreichendere Geschichte: Darin verbinden sich Märchen-, Horror- und Love-Story-Elemente zu einer herausfordernden Reflexion über Ausgrenzung, Zugehörigkeit und die Wahrnehmung des Fremden.

Tinas besondere Befähigung geht einher mit einem Chromosomen-Defekt, der ihr ein außerordentlich hässliches, fast animalisches Aussehen verleiht und – was später noch eine gewichtige Rolle spielt – zu einer genitalen Abnormität geführt hat. Dass sie sich der Natur und den Tieren näher fühlt als den Menschen, zeigen traumhafte Aufnahmen im Wald, wo sie in ihrem kleinen Haus auch einem nichtsnutzigen Hundezüchter Unterkunft gewährt.

Denn obwohl sie unter ihrem entstellten Aussehen leidet, hat sich Tina mit ihrem Schicksal abgefunden. Das ändert sich schlagartig, als ihr eines Tages bei einer Grenzkontrolle der hünenhafte Vore (Eero Milonoff) gegenübersteht, der ihr Zwillingsbruder sein könnte: die gleiche wulstige Stirn, das aufgedunsene Gesicht, die tiefliegenden Augen, die braunen Zähne. Es ist, als hätten sich zwei Angehörige einer fremden Spezies wiedergefunden.

Vore ernährt sich von Käfern und Larven, sein Anderssein ist für ihn kein Makel, sondern Auszeichnung, und er bestärkt auch Tina darin, sich als etwas Besonderes, Perfekteres als die Menschen zu sehen. Die Begegnung mit Vore kommt für Tina einer Erlösung gleich, endlich ist sie nicht mehr die Einzige ihrer Art. Wenn beide voller Übermut nackt durch den Wald laufen und im See planschen, gleichen sie übermütigen Trollen aus einer überdrehten Shakespeare-Komödie. Für kurze Zeit verliert die Geschichte hier allen Schrecken, und auch in der ungeheuer bizarren Sexszene der beiden liegt etwas existenziell Berührendes.

Doch Vore treiben noch ganz andere Dinge um. Anders als Tina hasst er die Menschen und ist in seiner Rache doch nur genauso grausam wie diese. Was genau den beiden widerfahren ist und woher sie kommen, deutet der Film nur an. Und auch wenn Tina die größten Empathien gehören, schlägt sich Regisseur Abbasi letztlich auf keine Seite. Vielmehr lotet "Border" (nach einer Kurzgeschichte von John Ajvide Lindqvist) im Gewand eines fantastischen Märchens den schmalen Grat zwischen menschlichem und monströsem Handeln aus. Ein Film, der selbst Grenzen sprengt, so schockierend wie faszinierend. (S/DK/110 Min.)

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