"Eine moralische Entscheidung": Die Dynamik von Wut und Schuld

21.6.2019, 09:00 Uhr

© Farbfilm

Dabei zeigt der streckenweise parabelhafte Film des iranischen Regisseurs auch, wie sinnlos und quälend ein hypothetisches "hätte" oder "wäre" ist, wenn die Dynamik der Ereignisse längst in Gang gesetzt ist.

Es beginnt mit einem nächtlichen Unfall in Teheran. Der Gerichtsmediziner Nariman muss einem Auto ausweichen, das seinen Wagen bedrängt, und streift dabei ein Motorrad, auf dem eine ganze Familie unterwegs ist. Vater, Mutter, ein Junge und ein Baby stürzen, doch wie es scheint, verläuft die Sache glimpflich. Schon in dieser ersten, seltsam ruhigen Szene fallen spontane Entscheidungen, deren Reichweite das Leben der Beteiligten in der Folge radikal verändern soll: Der Arzt untersucht zwar gewissenhaft den Jungen namens Amir und zahlt ein übertrieben hohes Entschädigungsgeld, will aber keine Polizei; der Vater bringt sein Kind gegen den Rat des Mediziners nicht ins Krankenhaus.

Am nächsten Morgen wird die Leiche des Jungen mit unklarer Todesursache in die Gerichtsmedizin gebracht. Und bei Dr. Nariman (Amir Agha’ee) regt sich das Gewissen. Trägt er die Schuld an Amirs Tod? Selbst als eine vertraute Kollegin bei der Obduktion eine tödliche Lebensmittelvergiftung feststellt, lässt ihm die Sache keine Ruhe. Ist Amir nicht doch durch einen Genickbruch gestorben?

Derweil verlagert sich die erdrückende Verantwortung auf den Vater (Navid Mohammadzadeh), der seine Familie aus reiner Geldnot mit billigem, aber verdorbenem Hühnerfleisch versorgt hatte. In seiner Verzweiflung, die durch die Vorwürfe seiner Frau noch verstärkt wird – weiß er sich nur mit der Rache an dem Fleischverkäufer zu helfen. . .

Jalilvand zeigt die beiden mit ihren Schuldgefühlen ringenden Männer in parallelen Szenen. Auf diese Weise wird nicht nur das soziale Gefälle zwischen ihnen deutlich. Während nicht ganz klar wird, weshalb sich der Arzt weiter in den Fall verbeißt, fordert die Wucht der Seelennöte des Vaters alle Empathie. Das hat durch und durch universellen Charakter. Einen Blick auf die Gesellschaft seiner Heimat erlaubt sich der Regisseur eher subtil, etwa wenn er vom Alltag des Mediziners erzählt, der schon mal mit Gewalt gegen Frauen zu tun hat.

Politisch wie sein Kollege Jafar Panahi ("Taxi Teheran") ist Jalilvand dagegen nicht. Das wäre wohl auch riskant. In seiner unverschnörkelten und langsam immer eindringlicher werdenden Machart erinnert sein Film eher an "The Salesman" oder "Nader und Simin" von Asghar Farhadi. Der Silberstreif am Horizont fehlt in dem mit schattigen Bildern ausgestatteten, ernsthaften Drama, sehenswert ist es trotzdem, nicht zuletzt wegen des intensiven Spiels der Hauptdarsteller. (IR/104 Min.)

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