"Greta": Die diabolische Klavierspielerin

16.5.2019, 09:00 Uhr

© Capelight

In der U-Bahn hatte sie deren vergessene Designerhandtasche samt Geld und Adresse gefunden. Als sie nun vor Gretas Tür steht, reagiert diese hocherfreut, bittet die ehrliche Finderin zum Kaffee herein, spielt ihr Liszts "Liebesträume" vor und erzählt ihr von ihrer Einsamkeit, seit ihr Mann gestorben und die Tochter zum Musikstudium nach Paris gegangen ist. Zwei Trauernde, die sich gegenseitig gut tun – so scheint es. Als Frances entdeckt, dass der Handtaschenfund kein Zufall war, ist es zu spät.

Der irische Regisseur und Oscar-Preisträger Neil Jordan ("The Crying Game") hat ein Faible für die dunklen Abgründe der menschlichen Seele. In "Greta" reißen er und Drehbuchautor Ray Wright die Vorgeschichten ihrer Protagonistinnen allerdings nur kurz an, um dann einen nicht sonderlich raffinierten, aber höchst effektvollen Psychothriller zu entwickeln. Die großartige Isabelle Huppert sorgt da für einen Schockmoment nach dem anderen.

Denn Greta ist zwar nicht die französische Witwe, als die sie sich ausgibt, aber einsam ist sie wirklich – und darüber hinaus eine bösartige Psychopathin, die zur Stalkerin wird, als Frances nach ihrer verstörenden Entdeckung den Kontakt abbricht. Anfangs terrorisiert Greta ihr Opfer mit Anrufen und Textnachrichten, dann steht sie mit eiskalter, versteinerter Miene stundenlang vor dem Fenster des Nobelrestaurants, in dem Frances als Kellnerin arbeitet, sie folgt ihr bis nach Hause, nimmt auch Erica (Maika Monroe) ins Visier. Die Polizei gibt sich machtlos. Selbst als Greta in ihrem Furor das halbe Restaurant verwüstet, landet sie bald wieder auf freiem Fuß.

In "Greta" geht es sichtlich nicht um subtilen Horror, vielmehr werden der Wahnsinn und die Angstfantasien bis zum Anschlag ausgekostet. Dabei würzt Neil Jordan die größten Thriller-Momente mit rabenschwarzem Humor und lässt konterkarierend sanfte Klaviermusik erklingen. Natürlich fühlt man sich da immer wieder an Hupperts 2001 mit der Goldenen Palme in Cannes gekrönten Auftritt in der Elfriede Jelinek-Verfilmung "Die Klavierspielerin" erinnert.

Soviel psychologischen Tiefgang wie einst Michael Haneke gesteht ihr Jordan nicht zu, doch macht es teuflischen Spaß, Huppert in der wohl irresten Rolle ihrer großen Karriere zuzuschauen. Auch die 22-jährige Chloë Grace Moretz verkörpert das arglose Opfer mit glaubwürdiger Naivität. Und Maika Monroe komplettiert als unkomplizierte, taffe Erica ein Frauentrio, das sich in Hochform präsentiert.

Auch wenn Neil Jordan mit "Greta" ganz sicher nicht seinen besten Film ins Kino bringt, spannende Unterhaltung ist hier von der ersten bis zur letzten Minute geboten. (IRL/USA/98 Minuten)

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