Umgang mit Nazi-Vermächtnis

Kongresshalle: Doppelausstellung fordert zum Nach- und Neudenken auf

Stefan Gnad

"Leben"

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8.2.2022, 11:38 Uhr
Blick in den Innenhof der Kongresshalle.

© Daniela Harbeck-Barthel, NN Blick in den Innenhof der Kongresshalle.

Was war nicht schon alles angedacht in der ollen Kongresshalle draußen am Dutzendteich, die die größte Halle der Welt hätte werden sollen und über einen Rohbau nie hinausgekommen ist. Derzeit ist dieses Relikt des Scheiterns wieder schwer im Gespräch: Die Nürnberger Oper soll übergangsweise dahin umziehen und die Kunstszene der Stadt in den Mauern möglicherweise ein neues Zuhause finden.

So weit, so pragmatisch. Doch man kann den Un-Ort freilich auch radikal neu und ganz anders denken. Etwa mit dem Ansatz, der Provokation (des Geländes) mit (künstlerischer) Provokation zu begegnen. Der Nürnberger Künstler Winfried Baumanns schlägt vor, alle baulichen Hinterlassenschaften auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände abzureißen und den kontaminierten Bauschutt in und über den Torso der Kongresshalle zu kippen. Sein Modell "Aufschüttung" aus Sperrholz, Papier und Finnpappe gibt einen plastischen Eindruck vom Ergebnis: ein Müll- oder Schuttberg der etwas anderen Art ... und ja, die Vorstellung hat was: Man könnte Rodeln auf Ruinen. Baumanns nicht minder schöner Alternativvorschlag: Eine "Einhausung" der Nazi-Hinterlassenschaften, sprich: sie mit Blei ummanteln - weil nachhaltig verseucht ...

Bei geführten Rundgängen kann man die Kongresshalle von innen erkunden.

Bei geführten Rundgängen kann man die Kongresshalle von innen erkunden. © Michael Matejka

Peter Weidenhammer hingegen denkt in seinem Vorschlag aus dem Jahr 1988 die Kongresshalle als teleologisches Museum - auf nur ein Ziel hin gerichtet: Zerfall. Rein in den Rohbau mit der ganzen Kunst, die die Nazis gut fanden - und das komplette Ensemble dann kontrolliert verfallen lassen. Nix heizen, nix lüften, nix putzen - auf dass er sich schön entwickelt, der Muff aus 1000 Jahren und ein toxisches Endlager entsteht, vergleichbar mit denen, in die wir fröhlich unsere Atomabfälle kippen. Weidenhammer ist überzeugt: In dem Maße, wie Nazikunst sehenden Auges zerfällt, nimmt im selben Zug die Reflektion der Geschichte zu. Sein teleologisches Museum ist kein schützender Musentempel, sondern ein Ort der offensiven Verletzung.

Noch älter, aber immer noch top ist der klug gefilmte und montierte Kurzfilm "Brutalität in Stein" aus dem Jahr 1961 von Alexander Kluge und Peter Schamoni, den es im Erdgeschoss des Künstlerhaus-Glasbaus (das sich jetzt K:osk93 nennt) zu sehen gibt. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt "Sometimes you just have to give it your attention", eine zeitgenössische Arbeit von 2021, die hier als Konzeptpapier vorgestellt wird: Der US-amerikanische Soundkulturexperte Louis Chude-Sokei und der Künstler und Musiker Jan St. Werner befragen die monströse Architektur durch den Einsatz von Sounds und Klängen. Das Ergebnis: Eine "auditive multiperspektivische Erforschung des ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgeländes"

Ortswechsel: Ein paar Meter weiter im Offenen Büro des Stadtplanungsamtes in der Lorenzer Straße wird die Fragestellung nicht künstlerisch, sondern konkret architektonisch angegangen. "Eine Chance für die Zukunft" lautet das Motto, unter dem sechs Studierende des Master-Studiengangs Architektur der Hochschule Biberach aus der Klasse Matthias Loebermann aktuelle Überlegungen zur Nutzung der Kongresshalle anstellen durften.

Ihre Aufgabe: Ein räumliches und funktionales Konzept für die Nutzung des Torsos entwickeln, das sowohl im Hinblick auf die Geschichte als auch auf die Zukunft unserer Gesellschaft Zeichen setzt. Der Blick von Außen ist auch hier von Vorteil, die angehenden Architekten sehen vor allem die Möglichkeiten: ein "unglaubliches Potential" und ja, einen "sehr schmalen Grat zwischen Erhalten und Gedenken, Verdrängen und Umnutzen, Erinnern und Umnutzen", an dessem gedanklichen Ende jedoch die Forderung steht, dieses riesige Gebäude "bitteschön nicht leer stehen zu lassen".

Thema ist explizit der Innenhof, der - wir erinnern uns - nie als ein solcher gedacht und geplant war, sondern geschützter Innenraum einer gigantischen Halle werden sollte, die nie fertiggestellt wurde. Franziska Boll bespielt ihn mit Wasser und zerbrochenen Spiegeln, Felix Pompe setzt auf Rampen statt Treppen (frei nach Architekten-Legende Le Corbusier: "Eine Treppe trennt Geschosse voneinander, eine Rampe verbindet sie").

Überhaupt taucht die Rampe in den studentischen Arbeiten gerne auf und steht - anders als bei den Nazis - immer für Barrierefreiheit und etwas Verbindendes. Lena Wiblishauser pflanzt ein Mini-Hochhaus in den riesige Innenhof - schön quergestellt, auf den ersten Blick klein, dann aber doch den Rand des NS-Klotzes an Höhe überragend -, Julia Blatz entwirft gleich einen ganzen Kunst-Kampus, der sich durch das weggenommene Eingangsportal (ein ewiges Nadelöhr) bis hinunter ans Ufer des Dutzendteichs zieht. Kathrin Stark renaturiert den kompletten Innenhof mit einem Mix aus Biotop und von Mensch beziehungsweise Kunst bespielter Hügellandschaft. Der Natur bleibt es überlassen, die Architektur zurückdrängen.

Artemi Rashba denkt den Un-Ort als Sommerbühne, Jasna Kajevic als Kunst- und Kulturzentrum "creative hub.". Filippo Brambilla hätte lieber Wohnungen für Studenten dort, denn "Kreativität braucht Platz". Dafür will er die Nazi-Architektur radikal umkehren und statt endloser blinder Treppenhäuser eine "Promenade architecturale" (auch Le Corbusier) schaffen, über die man in luftiger Höhe das ganze Hufeisen entlang flanieren kann. Immerhin: Die reale Universität zu seiner Utopie entsteht gerade ein paar hundert Meter weiter mit dem neuen Stadtteil Lichtenreuth, es wird also bald Studenten geben, die Wohnraum suchen ...

Vieles in dieser Doppelausstellung ist pfiffig und erfrischend. Es mangelt nicht an Ideen für das alte Gemäuer, höchstens an Mut für eine Umsetzung.

"NACHdenken, ÜBERdenken – NEUdenken? - Die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände". Doppelausstellung, noch bis 28. Februar im Künstlerhaus, Königstraße 93 (Di & Do-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr) und im Offenen Büro des Stadtplanungsamtes, Lorenzer Straße 3 (Di, Mi & Fr 12-18 Uhr). Der Eintritt ist frei.

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