Kult auf vier Rädern: Ein Roadtrip durch Frankreich mit Ente

6.3.2021, 07:55 Uhr
So alt wie die Kapelle Notre Dame de Grâce ist die kleine Ente noch nicht, aber im Charme kann sie mithalten.

© Christo X. Kambouris So alt wie die Kapelle Notre Dame de Grâce ist die kleine Ente noch nicht, aber im Charme kann sie mithalten.

Zunächst kann man sie hören. Ein Gurgeln, wie das eines alten Mannes morgens am Waschbecken, kommt näher. Als das Relikt aus einer anderen Zeit um die Ecke biegt, wirkt es in seinem orangeroten Lackkleid wie ein Harlekin, der auf Spaß programmiert ist, oder ein Auto, das einen Clown getankt hat.

Was für den Deutschen der VW Käfer, ist für den Franzosen der Citroën 2CV: Kult auf vier Rädern. Hierzulande als Ente geschimpft, ist sie trotz ihrer drei Pferdestärken keineswegs eine lahme.

Kult auf vier Rädern

Meine Ente begleitet mich entlang der Côte Fleurie, der Blumenküste der Normandie. Besitzerin Charlotte führt zunächst in das Seelenleben des "Deux Chevaux" ein. Mit "Zwei Pferde" lässt sich der weitaus charmantere Kosename übersetzen. Und diese gilt es im Zaum zu halten. Auf französische Art – durch simples Zugucken. Nach zehn Minuten auf dem Beifahrersitz und der Frage, wohin mit den eigenen Knien, ist Zeit für einen Stellungswechsel.

Wer die Fahrertür öffnet, dem fällt auf, dass an ihr kein Schloss ist. Charlotte rezitiert ein landeseigenes Sprichwort: "Man stiehlt keine Ente, man borgt sie sich." Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass sie mir mein Herz stehlen wird. Also, die Ente.

Schalten ist Kunst

Doch genug der kitschigen Romantik: Schließlich steht vor "l’amour" der Kampf – mit den Gängen. Schalten ist Kunst. Mal ziehen, mal drücken. Mal einen Hebel drehen, der dort hängt, wo bei modernen Autos sonst Radio und Aschenbecher zu verorten sind. Erster, zweiter, dritter oder vierter Gang. Oft zöffelt der Motor verwirrend. Der Rückwärtsgang, eine Mysterium. In Gang kommen, pure Lust. Am Lenkrad kurbeln ist dagegen Krafttraining für die Arme, die Ente als mobiles Fitnessstudio.

Sobald sie Fahrt aufnimmt, kämmt der Wind einem das Haar. Durchs offene Dach zwitschern die Vögel, als würden sie ihren blechernen Artgenossen anfeuern. Die Küste zieht an einem vorbei, doch Augen hat man nur für eine.


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Und nicht nur man selbst. Überall, wo sie hinkommt, fliegen ihr die Herzen zu. Jeder hat ein Lächeln auf den Lippen, sobald das Entchen vorbei watschelt. An der Ampel wollen andere Ver(k)ehrer ein bisschen über sie schnattern. Ein erster Stopp – soweit man zum Stoppen kommt, denn sie hat quasi keine Bremsen – ist Honfleur. Die Geburtsstätte des Impressionismus. Monet, Boudin, Renoir und Cézanne brachten ihn hier ans Licht der Welt.

Fischerdorf als Filmkulisse

Am Vieux Bassin, dem alten Hafenbecken, lebt die Vergangenheit des Ortes weiter, und heutige Hobby-Maler versuchen es den Großmeistern gleichzutun. Vom Kai aus blicken sie auf die eng lehnenden Lagerhäuser, die mit ihren Schieferfronten das perfekte Motiv sind – und die Ente findet einen Platz in ihren Bildern.

Kino im Inneren eines gestrandeten Wals - das gibt es wohl kein zweites Mal auf der Welt.

Kino im Inneren eines gestrandeten Wals - das gibt es wohl kein zweites Mal auf der Welt. © Christo X. Kambouris

Weiter geht es nach Villerville. Als lebendige Filmkulisse verarbeitete das Fischerdorf im Kultstreifen "Un singe en hiver" die Alkoholsucht der cineastischen Nationalhelden Jean-Paul Belmondo und Jean Cabin. Szenenbilder finden sich auf den Fassaden der Schenken wieder. Das Örtchen hat eine zusätzliche abstruse Vorvergangenheit zum Kino. Ein gestrandeter Wal wurde 1893 in ein Lichtspieltheater umgewandelt. Wohl getreu dem Motto: Wo ein Wale, da auch ein Weg.

"Diese Gallier!", würde man woanders Augen rollend sagen. "Un art de vivre", sagen dagegen die Franzosen. Eben diese versammeln sich um die Ente, als wäre sie der Wal von einst. Es scheint wie ein Sprung in der Zeit.

Reise mit der Zeitmaschine

Die Ente als Zeitmaschine, mit der man durch die Gegenwart reist. Kameras werden gezückt, wissende und staunende Blicke ausgetauscht. Sie ist außergewöhnlich, eine Brigitte Bardot in einer konformistisch verkommenden (Auto)welt. Ein hässliches Entlein, das die Zeit in einen Schwan verwandelt hat. Als jemand nach dem Türgriff langt, findet das Märchen kein Happy End: "Geborgt wird heute nicht!"

An der Côte de Grâce weilt die Notre Dame de Grâce. Eine kleine Kapelle an einem Hang, der mit einer panoramischen Sicht über die Ausmündung der Seine bis hinüber nach Le Havre aufwartet. Im Inneren ist die Aussicht verschrobener. Das Haus Gottes ist überströmt mit Modellschiffen. Fischer haben sie zum Dank an ihren Patron für seinen Schutz auf See dargebracht. Ich schmuggle ein hölzernes Modell der Ente zwischen sie. Zum Abschied läuten die Glocken.


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Entstation Sehnsucht: Trouville. Dank der Motorbremse kommen wir am Hafen zum Stehen. Die Promenade entlang schlendern Spaziergänger am Fischmarkt mit seinem täglich frischen Fisch und Meeresfrüchten aus der Nordsee vorbei. In den Restaurants treffen sie womöglich auf französische Stars und Sternchen, die Sie A nicht kennen und B daran erkennen, dass die Horden Pariser – die das Städtchen an den Wochenenden überrennen – mit ihnen Selfies machen wollen.

Lässiger geht es am Stadtstrand zu. Boule spielende Bonvivants bestätigen Klischees vom Laissez-faire, ein Surflehrer steht ihnen in nichts nach. Er heißt Stevi Lener, ist eine schlankere und attraktivere Version von Gerard Depardieu und lehrt im 16 Grad "warmen" Wasser das Wellenreiten.

Die Hupe macht Quak

Wer genug vom Seesalz in der Nase hat und weiter alle Augen auf sich haben möchte, erkundet die Stadt wieder per Ente. Eine Ehrenrunde ums Casino und zum Finale rauf auf die "Pont des Belges" über den Fluss Touques.

Dort, als sich ein VW Käfer vor einen schummelt, lüftet sich auch das Geheimnis, wieso der 2CV den Spitznamen Ente trägt. Ein Drücken auf die Hupe und es macht: Quak! Der Käfer wechselt die Spur. Ente gut, alles gut.

Mehr Informationen:
Comité Régional de Tourisme de Normandie (CRT Normandie), 14, rue Charles Corbeau - 27000 Evreux - Frankreich
www.normandie-touristiker.de
Tel.: 0033/232 33 79 00
Ente mieten:
La Normandie en 2CV
www.balades-2cv-normandie.com
Tel.:0033/681 38 73 08

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