Neue deutsche Netflix-Serie: So gut ist "How to sell drugs online (fast)"

30.5.2019, 22:22 Uhr
Eigentlich wollte der schüchterne Moritz (Maximilian Mundt) nur seinen Schwarm mit ein paar Pillen beeindrucken. Doch im Online-Handel mit Drogen entdeckt der Teenager seine kriminelle Ader.

© Bernd Spauke/Netflix Eigentlich wollte der schüchterne Moritz (Maximilian Mundt) nur seinen Schwarm mit ein paar Pillen beeindrucken. Doch im Online-Handel mit Drogen entdeckt der Teenager seine kriminelle Ader.

Einen Mystery-Thriller und eine beinharte Polizei-Serie deutscher Herkunft hat Netflix mit "Dark" und "Dogs of Berlin" bereits im Angebot, nun erscheint am 31. Mai die dritte deutsche Produktion des Streaming-Diensts: "How to sell drugs online (fast)". Tatsächlich schlägt der Serien-Neustart noch einmal ganz andere Töne an als die bisherigen deutschen Netflix-Serien, die schon bald um eine Adaption des Romans "Die Welle" und weiteren in Auftrag gegebenen deutschen Formaten des US-Diensts ergänzt werden. Eine Gemeinsamkeit zu den bisherigen Formaten gibt es aber doch: Auch in "How to sell drugs online (fast)", der neuen Serie mit diesem offenkundig etwas sperrigen Titel, stehen nach "Dark" erneut Teenager in einer Kleinstadt im Fokus.

Vom Schüler zum Drogenbaron

Worum geht's? Um seinen Schwarm Lisa zu beeindrucken, beschafft der Schüler Moritz für eine anstehende Hausparty einen Vorrat an MDMA (Ecstasy) beim örtlichen Dealer, indem er diesen erpresst. Zwar schindet das bei seiner Angebeteten Eindruck, doch bald meldet der aufs Kreuz gelegte Dealer Besitzansprüche an und Moritz bleibt nichts anderes übrig, als ihm das Geld für die Pillen zu beschaffen. Moritz‘ beste Idee: Das Zeug online weiterzuverkaufen. Weil er und sein Freund Lenny über genug Computer-Wissen verfügen und ohnehin schon im Rahmen eines Schülerwettbewerbs ein solides Konzept für einen Online-Handel auf die Beine gestellt haben, bauen sie aus ihren Kinderzimmern heraus einen eigenen Drogenhandel auf. Der brummt so sehr, dass sich die beiden Jungs bald immer mehr in ihre zunächst provisorische Idee verstricken und auch die Vertuschung bald immer schwerer fällt…

Mit dieser Prämisse will "How to sell drugs online (fast)" dem Serien-Standort Deutschland einen noch besseren Ruf verschaffen. Die erste Auszeichnung hat das Format, für das Sebastian Colley, Philipp Käßbohrer und Stefan Titze schrieben, knapp verpasst. Am 6. April feierte die Serie ihre Premiere in Cannes, wo nicht nur die Goldene Palme für Filme verliehen wird, sondern mittlerweile auch Auszeichnungen im Rahmen des Serienfestivals Canneseries. Obwohl der Mix aus Comedy und Coming-of-Age-Geschichte einen guten Eindruck hinterließ, ging die Serie leer aus.

Doch "How to sell drugs online (fast)" besitzt das Potenzial, auch über die Landesgrenzen hinweg von sich reden zu machen, in Deutschland sowieso. Hinter der Produktion steckt nämlich ein Team, das hierzulande laufend für Schlagzeilen sorgt. Die bildundtonfabrik - die Produktionsfirma, die auch Jan Böhmermanns häufig kontroverse Late-Night-Show "Neo Magazin Royale" verantwortet - wurde mit der Fiktionalisierung der Geschichte betraut, die sich so ähnlich Ende 2013 im Kinderzimmer eines Leipziger Teenagers ereignet hat. Der 18-jährige Maximilian S. hatte damals unter dem Pseudonym "Shiny Flakes" einen Online-Drogenhandel aufgebaut und Drogen im Wert von knapp vier Millionen Euro nach ganz Europa verkauft. Seine Freunde und er werden nun von weitgehend unbekannten Jungdarstellern verkörpert. Der einzige wirklich bekannte Name vor der Kamera lautet Bjarne Mädel, der besagten Dealer spielt.

"How to sell drugs online (fast)" wirkt gar nicht deutsch

Laufen neue deutsche Qualitäts-Serien an, was noch immer selten genug ist, werden diese gerne mit beliebten US-Formaten verglichen. Beobachter, die nach der Ankündigung der Serie von Netflix abermals eine deutsche Antwort auf "Breaking Bad" wähnten, sehen sich vom Neustart jedoch nicht in ihren Vermutungen bestätigt. Das hat schon allein mit dem Ton des Formats zu tun, das stark auf humoristische Elemente setzt. Hierfür engagierte die Produktion unter anderem den erfahrenen Comedy-Regisseur Arne Feldhusen ("Stromberg") als Teil des Kreativteams hinter der Kamera.

Die Handschrift der bildundtonfabrik lässt sich derweil an der hochstilisierten Optik des Formats erkennen. Die TV-Schmiede aus Köln versteht es seit jeher, ihre Produktionen mit einem einfallsreichen und auffälligen visuellen Stil zu schaffen. Das hohe Tempo und das poppig-bunte Aussehen der Serie stehen daher über die zunächst nur sechs Episoden in starkem Kontrast zur häufig typisch nüchternen deutschen Erzählweise, was dem Format einen sehr internationalen Charakter verschafft. Dabei gibt sich die Serie alle Mühe, die Reizüberflutung durch Digitalisierung in der Millenial-Generation authentisch abzubilden. Dem Zuschauer fliegen Textnachrichten, Social-Media-Seiten oder Instagram-Posts am laufenden Band um die Ohren. Für viele ältere Semester kann das zunächst anstrengend wirken, doch die jüngeren Generationen, die Netflix mit diesem Format sicher ansprechen will, werden sich schnell Zuhause fühlen.

Ein tolles Gespür für jugendliche Figuren

Andernorts krankt "How to sell drugs online (fast)" eher an den klassischen bildundtonfabrik-Charakteristika, zum Beispiel an einer übertriebenen Selbstreferenzialität, die Zuschauer manches Mal aus dem eigentlich so einnehmenden Erzählfluss herausreißt und Meta-Kommentare zuweilen über das Knie bricht. Die Produktion testet erzählerische Grenzen aus, was ihr häufig als Mehrwert genügt. In diesen Momenten funktioniert die Serie aber häufig nicht mehr als Fiction-Format, wenn die Fiktion dem Zuschauer ständig vor Augen geführt wird.

In ihrer starken Verspieltheit handelt die Serie vom Typus Nerd, der sich inmitten der Kleinstadt-Tristesse in spannendere digitale Welten flüchtet. Anders als bei Formaten wie "The Big Bang Theory" nimmt "How to sell drugs online (fast)" seine Figuren aber durchgehend ernst und nutzt sie nicht, um nur den nächsten Lacher zu generieren, sondern zeichnet sie vielschichtig – mit liebenswerten Seiten, aber auch mit Abgründen. Damit ist die Serie gerade dem klassischen Fernsehen meilenweit voraus, das immer wieder Versuche unternimmt, sich dieser, für viele TV-Schaffende mysteriösen Spezies von Jugendlichen anzunähern und sie authentisch darzustellen, dabei aber meist krachend scheitert. Schon allein deshalb ist "How to sell drugs online (fast)" eine Errungenschaft im deutschen Serienbereich, weil sie ein sehr gutes Gespür für Lebenswirklichkeit transportiert, ohne je belehrend sein zu wollen. Hier kommen sowohl Zuschauer auf ihre Kosten, die Style über Substanz stellen, als auch solche, die sich auf eine flott erzählte und frische Serie "made in Germany" freuen.

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