Neues Buch: So ähnlich sind sich Pest und Corona-Pandemie

1.4.2021, 06:00 Uhr
Neues Buch: So ähnlich sind sich Pest und Corona-Pandemie

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Ich, Agnolo di Tura, den man den Dicken nennt, beerdigte eigenhändig fünf meiner Kinder in der allgemeinen Grabstätte. Anderen erging es nicht besser. Andere Tote wurden so nachlässig bestattet, dass sie von Hunden ausgegraben, in der Stadt verteilt und teilweise auch gefressen wurden. Die Glocken läuteten nicht mehr, und auch das Weinen hörte auf. So schrecklich war die Lage, dass alle nur noch mit ihrem eigenen Tod rechneten."


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Das schrieb Agnolo Tura in Siena während der großen Pest von 1348. Eine Pandemie, eine Seuche ganz anderen, weitaus heftigeren Ausmaßes als Corona 2020/21. Und doch gibt es etliche Parallelen im Umgang mit den Krankheiten – und damit, was sie mit den Menschen, mit den Gesellschaften machen.

Der Historiker Volker Reinhardt hat dazu ein spannendes Buch geschrieben ("Die Macht der Seuche", C. H. Beck Verlag, 256 Seiten, 24 Euro). Es führt mitten hinein, vor allem in die Handelsmetropolen Italiens. Denn Florenz, Siena und Lucca waren als gut vernetzte Zentren besonders betroffen von der Pest, die vermutlich ab 1331 von China aus (eine Parallele zu Corona) ihren tödlichen Weg gen Westen begann, in den 1340er Jahren das Schwarze Meer erreichte und dann mit Handelsschiffen über Sizilien aufs Festland kam.

Krankheit als Gottesstrafe

Neues Buch: So ähnlich sind sich Pest und Corona-Pandemie

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Sie traf die Bevölkerung in zwei Varianten – die ausnahmslos tödliche Lungenpest und die überlebbare Beulenpest. Die Mediziner waren ratlos und hatten außer Quacksalberei keine Mittel gegen die Seuche – ein himmelweiter Unterschied zum heutigen Stand der Wissenschaften. Schon die gängige Ursachenforschung mutet aus heutiger Sicht abenteuerlich an: Unheilbringende Konstellationen der Gestirne, so damals die gängige These, führten dazu, dass todbringende Luft auf die Erde dringt...

Die Krankheit wurde allseits als Gottesstrafe gesehen. Und auch als Probe für die Menschen: Wer steht zu den Kranken, wer hilft ihnen? Es waren nur wenige – viele ließen ihre infizierten Nächsten im Stich. "Das Kind verließ den Vater, der Mann die Frau, die Frau den Mann, der Bruder den Bruder, die Schwester die Schwester", notierte ein Chronist in Florenz. Auch die meisten Priester kümmerten sich nur noch um Reiche.

Die wiederum flohen, wenn sie konnten, in ihre Villen auf dem Land, in die soziale Isolation, die vor der Infektion schützt – damals wie heute. Klassisches Beispiel: Boccaccios Novellen-Sammlung "Decamerone", in der er von zehn jungen Menschen berichtet, die sich während der ländlichen Quarantäne Geschichten erzählten.

Die Pest hatte, wie auch Corona, soziale Schlagseite: Arme in eng besiedelten Vierteln waren weit mehr betroffen als Wohlhabende. Insgesamt raffte die Pest – exakte Zahlen gibt es kaum – rund ein Viertel der Bevölkerung darnieder.

Eine Stadt wehrte sich erfolgreich gegen die Seuche: In Mailand, mit über 150 000 Einwohnern eine aufstrebende Metropole, gab es keine Toten. Bis auf drei befallene Familien: Die ließ der Stadt-Regent Luchino Visconti in ihren Häusern einmauern. Ein ebenso brutales wie funktionierendes Rezept. Auch damals wurde gestritten über die "richtigen" Formen des Handels: Die offene, vernetzte Wirtschaft der italienischen Städte stand gegen das Modell rein regionaler Kreisläufe – eine nach wie vor aktuelle Kontroverse.

Weitere Parallelen: Die Pest wie auch Corona verändern Verhaltensweisen und Kommunikation, beide schaff(t)en eine Atmosphäre des Misstrauens zwischen den Menschen, beide waren eine gewaltige Belastungsprobe für die Politik. Auch damals gab es Aktionismus und Regulierungswut.

Schuldige immer gesucht

Und: Sündenböcke. Schuldige werden immer gesucht, wenn Menschen es mit einer unbekannten, unheimlichen Bedrohung zu tun haben. Das ist heute für zu viele Bill Gates oder eine globale Elite, die Corona angeblich als Mittel auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung implantiert haben soll.

Damals (und immer wieder) standen die Juden im Mittelpunkt der Verschwörungstheorien. Sie galten als Brunnenvergifter – der Würzburger Kanoniker Michael de Leone schrieb: "Im Jahre des Herrn 1348 wird bekannt, dass die treulosen Juden in Teilen Frankreichs und Deutschlands die Wasser, aus denen Menschen und Pferde zu trinken pflegen, auf vielfache Art verpestet und Menschen mit teuren Giften getötet haben."

Und Matthias von Neuenburg notierte die grausamen Folgen für Zigtausende von Juden: "Daher wurden sie vom Ufer des Mittelmeeres bis nach Deutschland verbrannt." Häufig sogar schon, bevor die Pest die betroffenen Städte überhaupt erreichte. In Würzburg oder Straßburg wurden die Juden zusammengetrieben und verbrannt – in der "Furcht vor einer Gottesstrafe, die sich durch den vermeintlich gottgefälligen Akt des Judenmordes noch abwenden lassen sollte", wie Volker Reinhardt schreibt. Er spricht von einem "Bündnis von Adel und Pöbel": Klerus und Wohlhabende bereicherten sich an den Juden, die einfachen Leute ließen an ihnen ihren Hass aus.

Hygiene und soziale Distanz

Auch in Nürnberg. Kaiser Karl IV. genehmigte die Zerstörung des Judenviertels auf dem heutigen Hauptmarkt, rund 500 Juden wurden umgebracht. In der Folge setzte die Stadt auf ein medizinisch begründbares Pest-Management: Vor den Toren der Stadtmauer entstanden mit dem Rochus- und dem Johannis-Friedhof letzte Ruhestätten für die Pest-Toten und mit dem Sebastianspital das erste Pestspital Deutschlands. Eine "Pestordnung" setzte – ähnlich wie heute – auf Hygiene und soziale Distanz.

Auch damals, so Reinhardt, gab es Hoffnungen darauf, dass die Welt nach der Pest eine bessere werde. Dem stellt der Historiker ein eher ernüchterndes Fazit gegenüber. Reinhardt schreibt: "Wenn die Jahre 1347 bis 1353 die Menschen des Jahres 2021 etwas lehren können, dann ist es Gelassenheit. Nicht nur das Weltende, sondern auch der von vielen Seiten beschworene 'Systemumbruch' wird aller Wahrscheinlichkeit auf sich warten lassen... So spricht alles dafür, dass nach Überwindung der Corona-Pandemie der Wille zum Vergessen und zur Rückkehr in die vertrauten Bahnen überwältigend sein wird. Das ist keine besonders stimulierende, doch eine einigermaßen beruhigende Perspektive."


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