Ankommen in der Fremde

Nürnberger Autorin Nadine Schneider über ihre Bücher und die Wahlheimat Berlin

11.8.2021, 16:38 Uhr
Gerade erscheint der zweite Roman der Nürnberger Autorin Nadine Schneider. Sie stellt ihn am 27. August auch beim Erlanger Poetenfest vor.

© Stadt Erlangen Gerade erscheint der zweite Roman der Nürnberger Autorin Nadine Schneider. Sie stellt ihn am 27. August auch beim Erlanger Poetenfest vor.

Mit dem Fahrrad kommt sie durch den strömenden Sommerregen zum Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg. Wir setzen uns im Café unter die Markise und es prasseln die Tropfen, Dampf steigt von der Straße auf. Nadine Schneiders Kleider tropfen, doch sie lacht, lacht auch noch, als sie von ihrer Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb erzählt.

Eine der renommiertesten und umstrittensten Veranstaltungen in Sachen aktueller deutschsprachiger Literatur, zu der sie eingeladen worden war, hat sie längst abgehakt: Sie durfte dort lesen vor ein paar Wochen, wurde von der strengen Jury, wie es deren (Un-)Art ist, zerfleddert bis hinein in den letzten Nebensatz, aber auch gelobt für ihre Erzählung "Quarz". Einen Preis bekam sie nicht, hat aber gewonnen an Erfahrung. Das scheint ihr zu reichen.

Jetzt sitzt sie hier in Berlin, hat die nassen Überklamotten abgelegt und rührt in ihrem Cappuccino. Die Stadt ist längst ihre Heimat geworden, auch wenn sie aus Nürnberg kommt – und eigentlich von noch viel weiter her. Aber das ist eine andere Geschichte, das ist die Tatsache, aus der sie ihre Geschichten schöpft.

Vergangene Wirklichkeiten

Mit zwei Romanen hat die 31-Jährige Leser und Kritiker kurz hintereinander überrascht: 2019 erschien "Drei Kilometer", jetzt folgt "Wohin ich immer gehe", und in beiden Büchern erzählt sie von vergangenen Wirklichkeiten, die sie selber gar nicht miterlebt hat.

Ihr Thema ist das Leben in Rumänien um das Jahr 1989 herum, als dort der Diktator vom Volk gestürzt wurde und die Gesellschaft erst ganz langsam aus einer Jahrzehnte dauernden Lethargie erwachte.

Schneider ist zu jung, um Zeugin der Ereignisse gewesen sein zu können, sie hat davon erfahren aus Gesprächen mit ihren geflüchteten Eltern und Großeltern, später ist sie selber zu den Orten ihrer Vorfahren gefahren.

"Das Umbruchsjahr hat mich besonders interessiert," sagt sie, "diese Monate vor der Revolution, wie es sein musste, seit Jahren in dem System zu leben und nicht zu wissen, wann es endet. Der Umbruch stand kurz bevor, aber natürlich konnte man das nicht wissen. Ich habe mich, unabhängig von der konkreten Familiengeschichte, diesem Jahr ’89 noch mal gesondert annähern müssen."

Geschichten über Flüchten und Standhalten

Das tut sie in ihren Romanen mit einem bemerkenswerten Einfühlungsvermögen, gepaart mit dem Staunen über ein Land, das ihr unbekannt ist und in dem doch tief verborgen auch ihre eigenen Wurzeln liegen. Ihre Geschichten über Flüchten und Standhalten, über verknorpelte Ängste und langgehegte Hoffnungen, über Verrat und Vertrauen verzichten auf die großen historischen Zusammenhänge und nehmen den Alltag in der Diktatur als Hintergrund für ganz intime, sensible Schilderungen einer Normalität, die doch immer nur ein Ausnahmezustand gewesen ist in dem Ceausescu-Regime.

Für Nadine Schneider ist das auch eine Arbeit gegen das Verschweigen, auf das sie in ihrer Familie, die vom Leben in Rumänien lange nichts mehr wissen wollte, stieß: "Meine eigene Erfahrung führt in eine Sackgasse – aber ich kann auch versuchen weiter zu erzählen. So kann ich eine Verbindung zu dieser Vergangenheit aufrecht erhalten, durch das Erzählen. Das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen, das ist noch nicht absehbar."

Denn natürlich sind Schneider mit dem Erforschen der Herkunft auch die politischen Dimensionen ihres Themas aufgegangen: "Die Diktatur war so groß und lang, die Nachwehen sind immer noch zu spüren. Es hat nach 1989 auch kein allumfassender Machtwechsel in Rumänien stattgefunden, da waren immer noch alte Funktionäre in neuen Positionen – das ist schon noch spannend, wie die Vergangenheit weiter nachhallt in der Gesellschaft."

Das interessiert sie nun nicht zwangsläufig nur mit dem Blick auf Rumänien, sie will überhaupt wissen, "wie Vergangenes in den kleinen Nischen von Biografien wieder aufscheint". Ihre Sprache ist dabei so gänzlich unaufgeregt, leise forschend, nachsinnend, ihr Stil ganz eigen, unverdorben, melodisch.

"Leute, die meine Texte lesen, bemerken da eine gewisse Redundanz, so kleine Gesten, die immer wieder kommen," meint die studierte Musikwissenschaftlerin. "Mir ist das durchaus bewusst, dass es das gibt bei mir, aber ich finde das vollkommen in Ordnung, weil ich wirklich in musikalischen Strukturen denke: Die Motive tauchen wie in einem größeren Stück einfach wieder auf, haben im neuen Kontext aber vielleicht eine ganz andere Bedeutung."

So ist das auch in "Quarz", der Erzählung, mit der sie in Klagenfurt beim Bachmann-Wettbewerb auftrat. Der "Herbst" zieht sich wie ein Moment des Innehaltens, Vergewisserns durch den Text. Um das Gefühl, das diese Jahreszeit hervorruft, baut sich die Geschichte eines Ankommens in der Fremde auf.

Durchaus autobiografisch kann man das nehmen, denn "Quarz" spielt in dem Dorf von Schneiders Kindheit im Nürnberger Land, wo die Familie als Fremdkörper gilt, missverstanden, angefeindet, ausgegrenzt wird.

Lese-Tipp: Nadine Schneider: Drei Kilometer . 160 Seiten, 20 Euro. Wohin ich immer gehe . 240 Seiten, 22 Euro. Beide Romane bei Jung & Jung, Salzburg.

Lese-Tipp: Nadine Schneider: Drei Kilometer . 160 Seiten, 20 Euro. Wohin ich immer gehe . 240 Seiten, 22 Euro. Beide Romane bei Jung & Jung, Salzburg. © Verlag Jung und Jung/Montage: Sabine Schmid

Neues Zuhause in Berlin

Aber auch hier wieder keine Klage, nur eine seismographische Inaugenscheinnahme, ein Abtasten der Gefühle, ein feines Beobachten der brüchigen Normalität. "Ich wollte mir anschauen," sagt Schneider jetzt in Berlin und also weit entfernt von dem, was einmal "Heimat" war: "Wie ergeht es Menschen, die ganz neu einen Platz an einem sehr abgesteckten Ort schaffen müssen, die da noch keine Identität und keine Geschichte haben, wie kommen die an? Was sind die Mechanismen solcher Orte, mit solchen Menschen dann auch umzugehen, wie beobachtet man sich gegenseitig, wie sind die Vertrauensverhältnisse? Der Ausgangspunkt war schon dieses Vorort-Feeling, der Kern, um den sich andere Geschichten und Beobachtungen gelegt haben."

Nach Nürnberg, in ihre Geburtsstadt, kommt Schneider nur noch selten, in Berlin hat sie ihr neues Zuhause gefunden; an die Endgültigkeit dieser Entscheidung glaubt sie aber nicht. In "Drei Kilometer" heißt es einmal: "Heute hatte ich noch ein Heim und bald schon keines mehr. Und vielleicht würde ich lange keines haben. Nur eines im Kopf, mit dem etwas nicht stimmte, weil die Erinnerung daran baute und anderes wieder abriss, bis man sich mit nichts mehr sicher sein konnte."

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