Gunzenhausen: Ex-Salafist bei Reservistenempfang

2.2.2016, 11:47 Uhr
Gunzenhausen: Ex-Salafist bei Reservistenempfang

© Wolfgang Dressler

Warum werden junge Leute radikal? Diese Frage richtete Peci zunächst einmal an sich selbst. Er ist 26 Jahre alt, stammt aus Bosnien und kam 1991 als Teil einer Familie, die vor dem dortigen Krieg floh, nach Deutschland. Er wuchs in Weiden in der Oberpfalz auf, rutschte in die Islamistenszene, wie er in „Worma“ erzählte. Er verbreitete Propaganda für Al-Kaida. Für sein Tun — Beteiligung an einer Gewalttat und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung — kam er in Untersuchungshaft, erkannte, dass er vieles falsch gemacht hatte, wurde für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig und war in der Dschihadistenszene aktiv. Der V-Mann machte auf drohende oder schon begangene Straftaten aufmerksam, was zu Verurteilungen der Täter führte. Für seine Informationen erhielt der Deutsch-Bosnier Geld vom Nachrichtendienst.

Inzwischen war Peci im Zuge von Prozessen gegen seine Kumpane als V-Mann enttarnt worden. Danach sorgte der deutsche Staat für seinen Schutz, später konnte er im Betreuungsprogramm des Verfassungsschutzes für ehemalige V-Leute seinen Schulabschluss nachholen. Er hat ein Buch über sein Leben geschrieben, und darin klingt an, dass er sich als V-Mann mitunter als Verräter fühlte. Inzwischen hat er genug Selbstvertrauen und Mut, um in öffentlichen Veranstaltungen über seinen Werdegang und seine Überzeugungen zu reden — was wohl nicht ohne Risiko für ihn selbst ist.

Perspektivlosigkeit und das Gefühl, von der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, können dazu beitragen, dass Menschen wie er radikales Gedankengut annehmen. Der Referent spannte den Bogen aber weiter. Er kam mit fanatischen Gotteskriegern in Kontakt, die bereit waren, für ihre Ideologie zu sterben. Über die vermeintlichen Feinde — Deutsche wie US-Amerikaner (der Stützpunkt Grafenwöhr war nicht weit weg) — wusste er nicht viel. Dafür erhielt er von den Dschihadisten das Gefühl, dazuzugehören und verstanden zu werden. Die Stichworte dazu lauten Ersatzfamilie, Gemeinschaft und Brüderlichkeit.

Gefühl der Zurückweisung

All das stand für ihn in einem krassen Widerspruch zu früheren Erfahrungen. So war er ein guter Fußballer, konnte sich Hoffnungen machen, in die Bayernauswahl zu kommen. Doch sein Trainer wollte nicht und meinte: „Du bist ja kein Deutscher und wirst später bestimmt nicht in der Nationalmannschaft spielen.“ Diese Aussage war für den Jugendlichen ein Schock. Es begann die Suche nach einer anderen Identität. Eine solche Ausgrenzung könne, müsse aber nicht in jedemFall zur Radikalisierung führen. Und gefährdet seien nicht nur aus dem Ausland stammende junge Leute, betonte Peci. Typisch sei, dass man es der deutschen Gesellschaft „heimzahlen“ wolle. Von daher lasse man sich leicht ködern.

Nicht nur der „Islamische Staat“ (IS), sondern auch andere Gruppen verspürten die Sehnsucht, dass der Islam wieder die einstige Größe erreichen solle. Wo jetzt noch ein Gefühl der Schwäche und der Minderwertigkeit gegenüber dem Westen herrsche, wolle man dies total umkehren. Der Westen müsse also geschwächt werden, etwa durch gezielte, relativ wenig aufwendige Terrorangriffe, und in einer zweiten Phase solle ein eigener Staat aufgebaut werden mit dem Anspruch, sich immer weiter auszubreiten. Diesen Anspruch des IS müsse man ernst nehmen, sagte Peci. Die Gefahr von Anschlägen auch in Deutschland wachse. Hier könnte das zeitweise Chaos an den deutschen Grenzen, mit einer Vielzahl von nicht erfassten Flüchtlingen, eine Rolle spielen und die Terroristen begünstigen. Auch in Afghanistan sehe es nicht gut aus. Die Taliban seien so stark wie nie.

Die islamistische Propaganda geschehe etwa in Form von Videos. Die Botschaft sei eindeutig: dort die vielen unschuldigen Opfer, hier der böse Westen, dem nur der gute islamische Kämpfer Paroli bieten könne. Das Ganze sei oft aufgemacht wie ein Hollywood-Film. Jugendliche reagierten oft mit Empörung und Hass gegen den Westen auf das Gesehene. Der Aufruf, sie sollten für eine scheinbar gerechte Sache mitkämpfen, falle auf fruchtbaren Boden. Die Propaganda verfolge auch das Ziel, die Stärke des eigenen Lagers herauszustellen. Der IS erhalte nicht zuletzt deshalb Zulauf, weil der Eindruck geweckt werde, er sei schon mächtig und stehe kurz davor, die ganze Welt zu beherrschen.

Der Referent verwies auch auf religiöse Prophezeiungen im Islam. Der IS tue so, als ob er diese Zukunftserwartungen erfülle. Nicht zuletzt heiße es, in Syrien würde die entscheidende Endzeitschlacht geschlagen. Vor diesem Hintergrund glaubten junge Radikale daran, sie seien in einer göttlichen Mission unterwegs.

Schrittweiser Neuanfang

Um dem zu begegnen, ist Peci im Verein „Netzwerk sozialer Zusammenhalt“ tätig. Er geht ins Gefängnis, redet mit Extremisten, die einsitzen. In Unterwurmbach sprach er von dem Versuch, eine schrittweise Deradikalisierung zu erreichen. Der erste Schritt bestehe im Verzicht auf Gewalt. Die Gesellschaft solle in der Lage sein, geläuterten Extremisten, zum Beispiel Syrien-Heimkehrern, eine Chance zu geben. Und noch besser sei es natürlich, alles zu tun, damit sich junge Leute gar nicht erst radikalisieren. Sie bräuchten eine Ausbildung, eine Arbeitsstelle und Hilfe bei einem Schicksalsschlag. Gleichzeitig müsse die Gesellschaft klare Forderungen an die jungen Leute richten. Diese müssten sich anpassen und mit der großen Mehrheit Werte für ein friedliches Zusammenleben teilen. Es gelte, klar auszusprechen, „was dazugehört, um Teil der Gesellschaft zu werden“.

Längst hat Peci gemerkt, dass sein Feindbild gegenüber den USA nicht stimmte. Er hat mit GIs gesprochen und mit Erstaunen gehört, dass sie keinerlei Abneigung gegen den Islam hegen, sondern aus ganz praktischen Gründen, nicht aus ideologischen, in die Armee gegangen sind. So mancher US-Soldat argumentierte auch damit, dass er ja im Grunde für den Islam kämpfe und die Gläubigen von Terror und Diktatur befreien wolle. Solche Gespräche brachten neue Einsichten.

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