Kampf der Generationen kommt

3.12.2014, 06:00 Uhr
Kampf der Generationen kommt

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Ein wenig dürften sich die Zuhörer in der Aula der Mittelschule Cadolzburg bei Bürgers eineinhalbstündigem Vortrag vorgekommen sein wie unter der Wechseldusche. Hatte der wissenschaftliche Mitarbeiter beim Landesjugendamt Baden-Württemberg doch einerseits wohlig warm anmutende Botschaften im Gepäck. Vom „glücklichen Landkreis Fürth“ sprach der Referent mit Blick auf die von ihm hochgerechneten Zahlen, die sich auf Daten des Landesamtes für Statistik aus diesem Sommer stützen.

Auf der Gewinnerseite

Denn während die Masse der Landkreise bis zum Jahr 2025 teilweise bis zu 30 Prozent ihrer Bevölkerung verliert, kommt das Fürther Land im Vergleich der 71 bayerischen Gebietskörperschaften glimpflicher davon. In der Gruppe der null- bis 18-Jährigen legt er sogar um ein Prozent zu. „Eine ungewöhnlich gute Ausgangslage“, bescheinigte Bürger den versammelten Politikern und Fachleuten und schob gleich eine Mahnung hinterher: „Sie sollten sich nicht zurücklehnen, sondern sie nutzen.“

Allerdings, selbst wenn die Situation derzeit noch kommod erscheint, wird auch der von Landrat Matthias Dießl gerne so bezeichnete „Wohlfühllandkreis Fürth“ künftig nicht von dem verschont bleiben, was Ulrich Bürger unter dem Begriff „zunehmende Verteilungskämpfe“ zusammenfasste. Vereinfacht gesagt wird eine schrumpfende Anzahl von Familien und Jugendlichen einer wachsenden Gruppe von Menschen über 65 Jahren gegenüberstehen.

Nicht zu vergessen die immer größere Gruppe von Hochbetagten über 85 Jahren, die in weitaus stärkerem Ausmaß als heute – Stichwort Pflege – ihre Ansprüche an die Sozialkassen formulieren werden, wenn Rente und Pflegeversicherung nicht mehr reichen, um deren Versorgung zu finanzieren. Diese Forderungen seien auch nicht verhandelbar, sagte Bürger mit Blick auf die Bestimmungen im Sozialgesetzbuch – ganz im Gegensatz zu den „weichen“ Bedürfnissen der Familien und Jugendlichen.

Diese zahlenmäßige abnehmende Gruppe wird künftig zu einer „Minderheit“ und brauche deshalb eine „Lobby“, um beim Kampf ums Geld nicht ins Hintertreffen zu geraten, so Bürger. Er nimmt die Politik in die Pflicht: Sie dürften nicht der Versuchung erliegen, sagte der Redner an die Adresse von Landrat, Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte gewandt, ihre Entscheidungen der Frage unterzuordnen: Wo sind meine Wähler?

Vielmehr muss die Politik im gerade begonnenen „kritischen Jahrzehnt“ wichtige Weichen stellen. Die Gesellschaft könne es sich nicht leisten, junge Menschen „zu verlieren“. Was etwas nach blumigem Diplompädagogen-Deutsch klingt, hat schlichtweg handfeste wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Hintergründe. Schließlich wird der Anteil der Menschen zwischen 20 und 65 Jahren, die im Erwerbsleben stehen und mit ihren Steuern die Bedürfnisse der Älteren finanzieren, sinken – zunächst moderat, spätestens ab 2030 aber rasant.

Deshalb sei es unabdingbar, so eine Forderung Bürgers, noch mehr Jugendliche in den sogenannten produktiven Sektor zu überführen. Bei 25 Prozent der unter 20-Jährigen ist das aktuell nicht der Fall – brachliegendes Potenzial, das immer wichtiger wird: Kein Hauptschulabschluss, zwei Jahre im Übergangssystem, abgebrochene Lehre und schließlich Hartz IV – solche Biographien kann sich keine Gesellschaft mehr erlauben.

Hart kritisierte der Experte, dass Bildungschancen hierzulande noch immer an die soziale Herkunft geknüpft seien. Besonders betroffen: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – in Bayern immerhin schon 25 Prozent der Gruppe unter 18 Jahren, Tendenz steigend. Werde hier nicht gegengesteuert, seien alle bisher bekannten Auswirkungen des demographischen Wandels „ein laues Lüftchen“.

Was die künftige konzeptionelle Ausrichtung der Jugendarbeit angehe, müssten mehr mobile Angebote bereitgestellt und vernetzt werden. Profis sollen die abnehmende Zahl von Ehrenamtlichen unterstützen, wobei das personelle Potenzial umgeschichtet und gezielt eingesetzt werden muss. „Mehr professioneller Aufwand für weniger junge Leute“, lautete Bürgers Formulierung.

Dies kann aber nur funktionieren, wenn die Politiker nicht Geld aus dem Bereich der Jugendhilfe abziehen, um dieses etwa in die Altenhilfe umzuschichten. Ganz im Gegenteil: Die finanziellen Aufwendungen dafür dürften eher noch steigen. Die Kreisebene werde bei all den Anstrengungen als „koordinierende Größe“ bedeutsamer, prognostizierte Bürger und verteilte noch ein paar Streicheleinheiten. Die Tatsache, dass die Familienkonferenz im Landkreis Fürth bereits zum 8. Mal. stattfinde, zeige: „Sie sind nicht auf dem schlechtesten Weg.“

Jugendhilfe im Kreistag

Dieser Ansicht war auch Maximilian Gaul. „Gut aufgestellt“ sieht der Vorsitzende des Runden Tisches Familie den Landkreis. Vieles, was Ulrich Bürger gesagt habe, ob Themen oder Prioritäten, sei in der Fortschreibung des Jugendhilfeplans bereits berücksichtigt. Der neue Kreistag, der sich am 15. Dezember konstituiert, muss das Werk noch absegnen. „Dann können wir“, so Gaul, „den Deckel drauf machen.“

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