Familie Kistner rettet Traditionsbuchhandlungen

7.12.2011, 00:00 Uhr
Familie Kistner rettet Traditionsbuchhandlungen

© Gertrud Gerardi

Heiko Kistner, Buchhändler-Urgestein aus Nürnberg und als Senior-Chef nach wie vor hinter den Kulissen von „Edelmann“ tätig, hatte sich in seiner aktiven Zeit schon früh daran gewöhnt, dass er mit zwei Namen leben musste: „Die Kunden sagten entweder Herr Kistner oder einfachheitshalber Herr Edelmann zu mir.“

In der Tat war das Geschäft in der Breiten Gasse jahrzehntelang in der Stadt der Inbegriff für seriöse Buch-Kultur. Als der Laden, 1886 gegründet und schon 13 Jahre später von Moritz Edelmann als „Buch- und Kunsthandlung“ mit Laden am Hauptmarkt übernommen, 1990 umzog ins Maximum gegenüber Nationalmuseum und Gewerkschaftshaus, ahnte noch niemand, dass knapp 20 Jahre später das Sortiment und der Name aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden sein würden.

Horrende Mietpreise und die Etablierung großer Buchhandelsketten zwangen „Edelmann“ zur Schließung des Geschäfts, das sich mit seiner breiten Auswahl, seinem (stamm-)kundenfreundlichen Service nur mehr schwer gegen die neuen Kaufhaus-Gepflogenheiten der Branche behaupten konnte.

Mittlerweile hatte Heiko Kistners Sohn Thomas (den Beruf erlernte er ironischerweise beim Münchner Großunternehmen „Hugendubel“) das Unternehmen übernommen. Er gründete eine Filiale in Fürth an der Freiheit und zog sich ansonsten mit dem Namen „Edelmann“ ins Hinterzimmer zurück. Hier aber, zwischen Lager-Atmosphäre (für den nach wie vor bestehenden Online-Versand) und Büro-Nüchternheit, kam er auf Gedanken und Lösungen, die dem uralten guten Ruf der Branche in Nürnberg wieder gerecht wurden.

„Jakob“ übernommen

Denn man kann durchaus behaupten, dass Kistner — trotz des Verschwindens von „Edelmann“ — als eine Art Retter des traditionellen Buchhandels in der Stadt dezent in Erscheinung trat. 2004 ging „Korn und Berg“, gegründet 1531, in den Besitz der Kistners über, 2010 auch „Bücher Jakob“ in der Innenstadt; dieser Laden stand kurz vor der Schließung, schien sich nicht mehr halten zu können in unmittelbarer Nachbarschaft von Giganten wie „Thalia“ oder „Hugendubel“ (dass Letzterer kürzlich in der Innenstadt selbst die Segel strich, ist mehr als ein Aperçu...).

Und so kann man heute sehen, dass es eben doch funktioniert: „Korn und Berg“ zählt mit seinem außergewöhnlichen Interieur zu den schönsten Buchhandlungen in Deutschland, „Jakob“ ist am Hefnersplatz unumstritten der gediegene, anspruchsvoll bestückte Ort für Literaturfreunde: zwei vergleichsweise kleine Häuser, die sich trotzig und irgendwie wohltuend altmodisch behaupten gegen die eher unpersönlichen Buchtempel unserer Event-Gesellschaft, die mit Stapeln und Nippes zum schnellen Kauf verführen wollen.

Familie Kistner rettet Traditionsbuchhandlungen

© Sippel

Der russische Dichter Jewgenij Jewtuschenko schrieb 1997 ins Gästebuch bei „Edelmann“: „Ich fühle mich in Ihrer Buchhandlung wie ein alter Besen in meinem Geburtshaus“, und es stellt sich die Frage, ob man einem Einzelhändler, der sich auf die Vermittlung der Literatur und der schönen Künste verlegt hat, ein größeres Kompliment machen kann.

Natürlich ist der traditionelle Buchhändler heute nicht nur Einzelhändler, sondern auch Einzelkämpfer: er muss sich mit den geänderten Marktmechanismen der Branche auseinandersetzen, muss das veränderte Leseverhalten (bis hin zum E-Book-Wunsch) der Kunden einkalkulieren, muss viel mehr als früher aus einem unendlich unübersichtlichen Literatur-Massenangebot für sein spezielles Sortiment auswählen.

Aber, und da hat Thomas Kistner wohl eine feine Nase gehabt, er kann sich auch besser als ehedem Nischen suchen, kann Kunden mit ausgefallenen Wünschen an sein Geschäft binden, weil er Beratung und Fachkenntnis garantiert.

Im 16. Jahrhundert Hans Sachs verlegt

Die wechselvolle Geschichte dreier alter Nürnberger Buchhandlungen, die auf so wundersame Weise zusammengewachsen sind und gleichwohl unverwechselbar blieben, kann in den Annalen nachgelesen werden. Bei „Korn und Berg“ zum Beispiel führt die Recherche zurück bis ins 16. Jahrhundert, als man (noch unter anderem Namen) als Verlag auftrat und sogar Hans Sachs herausgab; bei „Jakob“ wird man gedanklich beim ehemaligen Senior Emil Jakob hängenbleiben, dessen unbestreitbare und leidenschaftlich im Kundengespräch referierten Literaturkenntnisse man vielleicht noch im Ohr hat; bei „Edelmann“ schließlich erinnert man sich an die Lesungen, an die Kunstschaufenster, an die literarischen Trouvailles, die man bei jedem Besuch in dem Kabinett machen konnte.

Möglicherweise hat man sogar noch einen alten Mahnzettel von „Edelmann“ zu Hause, auf dem freundlichst mit einem Reim von Eugen Roth an verabsäumte Zahlungen erinnert wurde? Roth auf jeden Fall dichtete 1950 zur Einweihung der neuen Räume in der Breiten Gasse, in denen sich heute längst Jeans oder Handys oder egal was stapeln, exklusiv:

„Sofern wer haben möcht’ ein Buch, / Gilt wieder jetzt der alte Spruch: / Vergebens sonst wo in der Stadt / Sucht man, was Edelmann nicht hat! / Vom ält’sten Stich zum jüngsten Schlager / Hat alles Edelmann auf Lager! / Selbst wer kein Geld hat, schaut sich’s an: / Das kostet nichts bei Edelmann.“

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