Am Rand des Nervenzusammenbruchs: "Tommaso"

26.2.2020, 18:12 Uhr
In seiner Wahlheimat Rom versucht Tommaso (Willem Dafoe) mit der Hilfe der Anonymen Alkoholiker weiterhin trocken zu bleiben. Viel Spaß am Leben hat er nicht mehr.

© Foto: Neue Visionen In seiner Wahlheimat Rom versucht Tommaso (Willem Dafoe) mit der Hilfe der Anonymen Alkoholiker weiterhin trocken zu bleiben. Viel Spaß am Leben hat er nicht mehr.

"Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ heißt ein Film von Pedro Almodóvar aus dem Jahr 1988. In Abel Ferraras aktuellem Drama "Tommaso und der Tanz der Geister" ist es ein Mann, der kurz davor ist durchzudrehen. Und es gibt noch eine weitere Verbindung zwischen dem spanischen Filmemacher Almodóvar und seinem amerikanischen Kollegen Ferrara. Aber dazu später.

In "Tommaso" geht es um den titelgebenden New Yorker Regisseur und Drehbuchautor, der im reifen Alter ein neues Leben in der alten Welt begonnen hat. Mit seiner neuen jungen Frau und der dreijährigen Tochter lebt er mitten in Rom. Auf den ersten Blick scheint er ein glücklicher Mann zu sein, der das unangestrengte Leben im Altstadt-Viertel genießt. Doch bald stellt sich heraus, dass sein Alltag als Ehemann und Vater, der nebenbei an einem Drehbuch arbeitet, doch eher von Leere und Routine durchdrungen ist. Die langen Kameraeinstellungen und oft dokuartige Szenen unterstreichen das noch.

Seine Tage verbringt Tommaso mit Einkäufen, auf dem Kinderspielplatz, mit Yoga und den Schauspielworkshops, die er gibt. Oder bei den Anonymen Alkoholikern, wo die anderen Teilnehmer mit ihren Geschichten seine eigene Vergangenheit spiegeln. Tommaso selbst ist seit sechs Jahren trocken – und es sieht ganz danach aus, als sei sein Dasein früher bunter und aufregender gewesen. . . Die kleine Tochter ist ihm nicht sehr nah, und seit sie auf der Welt ist, läuft es auch in der Beziehung nicht mehr. Erotische Begegnungen hat er ohnehin nur in seinen Fantasien, die irritierend nahtlos in die Geschichte einfließen.

Willem Dafoe spielt diesen immer noch attraktiven, gleichwohl vom früheren Leben gezeichneten Mann als innerlich Getriebenen mit einer Präsenz, die alle anderen Figuren ziemlich blass wirken lässt. Vom Regisseur ist das offensichtlich beabsichtigt. Denn in der Hauptfigur steckt viel von ihm selbst. Auch er hat Erfahrung mit Drogen und Alkohol, er lebt in Rom und meditiert. Als Tommasos Lebensgefährtin tritt Ferraras Ehefrau Cristina Chiriac auf, die kleine Anna Ferrara spielt die Tochter der beiden. Darüber hinaus wurden einige Szenen in der römischen Wohnung der Ferraras gedreht.

Hier fällt einem dann Almodóvar ein, dessen jüngster Streich "Leid und Herrlichkeit" ebenfalls deutliche autofiktionale Züge hat. Doch so selbstbezogen und bisweilen schwelgend selbstmitleidig wie Ferrara legte der Spanier sein Drama nicht an. Wenn man Tommaso dabei zusieht, wie narzisstisch er um Anerkennung buhlt, wie er seine um Selbstständigkeit ringende Frau kontrolliert und auf den Nervenzusammenbruch zusteuert, weil sich sein Lebensentwurf nicht realisiert, wirkt das fast wie Selbsttherapie – und kann einem leicht zu viel werden. An Dafoe liegt das nicht. Er stellt diese inneren Kämpfe nachvollziehbar dar. Sein Spiel macht den Film sehenswert. (115 Min.)

Verwandte Themen


Keine Kommentare