Sven Regeners Roman "Glitterschnitter"

Auf ein Bier in die "Intimfrisur"

9.9.2021, 11:57 Uhr
Autor und Musiker: Sven Regener.

© picture alliance / Arne Dedert, dpa Autor und Musiker: Sven Regener.

Die "Intimfrisur" hat hier nichts mit Nacktmachen zu tun. Ganz im Gegenteil. Wir befinden uns in den zotteligen frühen 80er Jahren und eine alternative Berliner Kneipe heißt so. Genauso wie die Typen namens P. Immel und Kacki von der "Arsch-Art Galerie" keine Dixi-Klos herstellen. Sie sind krude Kunstschaffende.

Und das sind nur zwei Beispiele für das kunterbunte Paralleluniversum zum Bürgertum, das der Autor in seinem neuen Roman "Glitterschnitter" mit starken Dialogen und viel Wortwitz beschreibt.

Die Musik der Bohrmaschine

"Glitterschnitter" wiederum nennt sich eine Band, die unbedingt zur Kunstmesse "Wall City Noise" zugelassen werden will. Mit aller Lärm-Gewalt. "Wenn die Trommeln sprechen, schweigt der Kummer", findet Raimund, der nachdenkliche Schlagzeuger, der gerne der Lauteste in der Gruppe wäre. Wobei ihn Charlie mit seiner Hilti-Bohrmaschine schon mal übertönt, wenn ein Betonklotz zu akustischen Zwecken dran glauben muss.

Der Roman "Glitterschnitter" erzählt vom Berlin der 1980er Jahre.

Der Roman "Glitterschnitter" erzählt vom Berlin der 1980er Jahre. © imago images/Gerhard Leber

Wer sich bei solchen Beschreibungen an real existierende Berliner Krawall-Experten wie Blixa Bargeld und seine Band "Einstürzende Neubauten" erinnert fühlt, liegt wohl nicht ganz verkehrt.

Sven Regener ist bekanntlich nicht nur Autor, sondern erst einmal Sänger und Texter der deutschen Band Element of Crime ("Delmenhorst"). Aus dem Vollen schöpfen kann er als Erzähler schon deshalb, weil auch er Anfang der 80er Jahre von Bremen aus nach Berlin übersiedelte, mitten in die Nebenschauplätze der Kneipen und Bühnen hinein, den etwas vernebelten Nabeln der Welt.

Mit verfilmten Bestsellern wie "Herr Lehmann" oder "Magic Mystery" nimmt er seine Leserschaft seit Jahren ins geteilte Berlin zu den Tagträumern, Lebenskünstlern und waghalsigen Utopisten jener Tage mit.

Kondensmilch schäumt nicht

"Es wird Zeit, dass hier ein neuer Geist und eine neue Milch einkehrt", denkt Frank Lehmann, der trantütige Held, wenn er im "Cafe Einfall" (gleich neben der "Intimfrisur") mit der Kondensmilch an der Kaffeemaschine kämpft. Sonst ist bald Schicht im Schacht der Frühschicht, weil die Leute nun mal Milchschaum wollen.

Sven Regener (3. von links) und seine Band Element of Crime.

Sven Regener (3. von links) und seine Band Element of Crime. © Charlotte Goltermann/Universal

Oder der unermüdliche H. R. (Heinz Rüdiger klänge auch viel zu bürgerlich), der trotz der Zweifel seines Managers eine IKEA-Musterwohnung als Kunstprojekt nachbauen will.

"Es ist ja nicht so, dass man das von außen sieht und sagt, guckt mal, die Doofen, sondern man lacht ja nur über sich selbst. Also ich jedenfalls", sagte Regener dem Norddeutschen Rundfunk über sein neues Buch. "Das sind zwar künstlich geschaffene Figuren, aber ich habe sie trotzdem lieb, die bedeuten mir was, wahrscheinlich, weil sie einfach Teil meines Lebens sind und mein Leben erzählen."

Letztlich läuft der Roman auf kleine Fluchten hinaus, die schon mal in eine größere Flucht münden, weil man die Stadt vielleicht besser verlässt. Mit dem Zaster abzuhauen soll ja auch in alternativen Kreisen eine gute Tradition gehabt haben, wie Eingeweihte erzählen.

Schon witzig, dass in Regeners 80er-Jahre-Romanrevue seit 20 Jahren kaum einer gefühlte 30 wird. Vielleicht auch besser so. Unterhaltsam auf jeden Fall.

Info:

Sven Regener liest am 28. Oktober im Erlanger Redoutensaal, Theaterplatz 1, 20 Uhr.

Sven Regener: Glitterschnitter. 480 Seiten, Galiani Berlin, 24 Euro.

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