Auffangbecken für die Farbe

11.3.2017, 16:16 Uhr
Auffangbecken für die Farbe

© Foto: Winckler

Wie schafft man es als kleine städtische Galerie im Frankenland, einen Großmeister wie Hermann Nitsch für eine Ausstellung zu gewinnen — zumal dann, wenn man noch nie in Kontakt mit ihm stand? Man nimmt sich ein Herz, fragt einfach an beim Künstler und lässt sich dann von dessen Kooperationsbereitschaft überraschen. "Ich durfte ihn in Prinzendorf besuchen und mir an Gemälden aussuchen, was ich wollte", erzählt Hans-Peter Miksch, Leiter der Kunstgalerie Fürth. Die kann nun also neue Schüttbilder des Altmeisters der Wiener Aktionskunst und des Orgien-Mysterientheaters präsentieren.

Bei seinen aufsehenerregenden rituellen Groß-Inszenierungen hatte der mittlerweile 78-jährige Nitsch in Gedärmen gewühlt, Fleisch, Blut und Tierkadaver verwendet. So drastisch geht es in Fürth nicht zu: Hier wird Nitsch als Maler gezeigt — mit neueren Arbeiten aus den vergangenen drei, vier Jahren. Aber auch auf seinen wuchtig-wilden Leinwänden, auf die die Farbe geschüttet oder mit den Fingern verrieben wurde, dominiert Rot, das man in Kenntnis der Künstler-Biografie natürlich unweigerlich mit Blut assoziiert. "Mit 20 Jahren hat Nitsch als informeller Maler angefangen — und das ist er heute noch", sagt Miksch.

Der Kunststar war bei diesem ungewöhnlichen Ausstellungsprojekt übrigens nur zweite Wahl. Zuerst stand für Miksch fest, dass er das Werk des fränkischen Bildhauers Hans Karl Kandel (Jahrgang 1946) einem breiten Publikum vorstellen wollte. Betonung auf breites Publikum. Deswegen entschieden sich Künstler und Ausstellungsmacher gemeinsam für eine Doppelschau. "Hätten wir Kandels Werke solo gezeigt, wären hauptsächlich Besucher gekommen, die seine Skulpturen schon kennen und schätzen", erklärt Miksch, der bereits mehrfach — zum Beispiel mit der Doppelschau von Maler Bernhard Maria Fuchs und dem Fotografen Christian Höhn — ein gutes Händchen für ungewöhnliche Künstlergespanne bewiesen hat.

Nun also Kandel und Nitsch, die unterschiedlicher nicht arbeiten könnten: Hier der Künstler, der nicht nur in seinen Mysterienspielen im Farbrausch in die Vollen geht, kraftvoll, ungestüm, vorwärtsdrängend. Dort der Bildhauer, der in seinen ebenso stillen wie raffinierten Gipsskulpturen die Zurückhaltung zelebriert.

Vor zwölf Jahren schwenkte Kandel vom Stahl ("er hat mich irgendwann körperlich überfordert") auf Gips um und perfektioniert seither seine organischen Großskulpturen aus reinem Weiß, das mit jedem Lichtstrahl seine Farbe ändert und mitunter suggeriert, die Wände wären eingefärbt. Gefäße nennt Kandel all seine aus Gips gegossenen Stücke. Das heißt: Sie sind offen und geben auch den Blick auf ihr faszinierendes Innenleben frei. Das Auge verliert sich im reinen Weiß der Objekte und kann oft nicht entscheiden, wie tief sie eigentlich sind.

"Reinheit und Ritual" hat Miksch die Schau treffend betitelt, die ästhetisch wie inhaltlich einen spannenden Bogen schlägt. Kandel hat eigens Werke dafür geschaffen und sagt: "Beim Anblick von Nitschs Bildern hatte ich die Assoziation, dass ich die Farbe in meinen Gefäßen auffangen kann."

Kunstgalerie Fürth, Königsplatz 1: "Reinheit & Ritual: Hans Karl Kandel & Hermann Nitsch" bis 23. April, Mi.-Sa. 13-18, So 11-17 Uhr, Katalog 6 Euro.

Verwandte Themen


Keine Kommentare