Blues im Herzen: Das wilde Leben des Kevin Coyne

12.10.2020, 13:45 Uhr
Blues im Herzen: Das wilde Leben des Kevin Coyne

Das Gefühl, dass er Kevin Coyne noch eine umfassende Würdigung schuldig ist, hat seinen Freund und Fan Steffen Radlmaier nie verlassen.

Nun gibt es eine sehr schöne Ausstellung im Nürnberger Kunsthaus, die freilich nur einen Bruchteil des riesigen Konvoluts an Bildern und Zeichnungen zeigen kann, die der lebenslange Workaholic hinterlassen hat – und vor allem die Monografie "The Crazy World of Kevin Coyne".

Durch alle Höhen und Tiefen

Das Buch ist eine ebenso kenntnisreiche wie prägnante, intime, liebe- und auch humorvolle Annäherung an den Musiker, Autor, Maler und Zeichner. Radlmaier selbst steuert ein aufwändig recherchiertes, spannend zu lesendes biografisches Essay bei. Entlang der Stationen Derby, London, Nürnberg, wohin es den Briten 1983 in einer schweren Krise verschlug und wo er blieb, führt er durch alle Höhen und Tiefen des Musikers und Menschen Kevin Coyne, der es sich und anderen nicht leicht gemacht hat, sich aber nie verbiegen ließ.

Blues im Herzen: Das wilde Leben des Kevin Coyne

Von der Geburt 1944, bei der der kleine Kevin fast erstickt wäre, und der schwierigen Kindheit des künstlerisch begabten, schmächtigen Jungen mit dem zu großen Kopf, der früh zum Außenseiter wurde, über das Studium, die Heirat mit Lesley Fox, die Geburt der Söhne Eugene und Robert, die prägenden Jahre als Kunsttherapeut am Whittingham-Hospital, einer Klinik für psychisch kranke Menschen, bis zur Gründung der Band Siren (gemeinsam mit Nick Cudworth) reicht das Derby-Kapitel.

Nach dem Umzug ins Swinging London begann mit dem Doppelalbum "Marjory Razorblade" (1973) seine produktivste Phase. Coyne, zeitlebens gefördert von dem legendären BBC-Moderator John Peel, brachte als Solokünstler mit wechselnden Musikern ein Album nach dem anderen raus – bis 1980 fast alle bei dem aufstrebenden Label Virgin Records – und war ständig auf Tour. Trotz aller Anerkennung blieb der kommerzielle Erfolg jedoch aus. "Millionaires and Teddy Bears" (1978) sei "Coynes Abrechnung mit seinem Misserfolg und mit der Musikindustrie", so Radlmaier, der ausführlich auch auf die Eskapaden und Alkoholabstürze des Musikers eingeht.

1983 in Nürnberg gestrandet, erwarb sich Coyne zunächst den Ruf "des singenden Trunkenbolds" und "taumelte weiter dem Abgrund entgegen". Dank seiner zweiten Frau Helmi Coyne und einem Alkoholentzug rappelte er sich allmählich auf und feierte mit der Paradise Band beachtliche Erfolge, tourte bis zum Schluss. Das Nürnberg-Kapitel führt einem dabei auch noch einmal die enorme Kreativität der damaligen Musikszene vor Augen.

Coyne selbst kommt im Buch mit Gedichten, Songtexten sowie in Interviews zu Wort – darunter das letzte, das Radlmaier wenige Stunden vor dem (trotz seiner schweren Lungenkrankheit) unerwarteten Tod des Freundes am 2. Dezember 2004 führte. Coynes Haltung zur Musik, seine Nachdenklichkeit und Offenheit bringt einem ein langes Gespräch mit dem US-Musikautor Richie Unterberger berührend nahe.

Zwischen Tragik und Humor

Obwohl Coyne sein Leben lang zeichnete und malte – auf 60 Seiten blättert das Buch durch seine Bilderwelten, die sich zwischen Art Brut, Pop Art, Bad Painting und Comic, zwischen Tragik und bitterbösem Humor, bewegen –, ist er vor allem als Bluesmusiker bekannt geworden. Über 40 Alben hat er veröffentlicht – oft ohne Vorbereitung: Coyne "machte Platten, wie andere eine Bank überfallen: rein, rumschreien, raus, fertig", schreibt der BR-Journalist Karl Bruckmaier. Er habe Figuren aus dem Stegreif geschaffen, "die sofort zu leben anfingen, wenn Kevin den Mund aufmachte". Dass er trotz seiner Produktivität nie einen Hit gelandet hat, ist für Radlmaier wohl die Tragik eines Menschen, "dem Wahrhaftigkeit und Authenzität wichtiger waren als Showgehabe".

"The Crazy World of Kevin Coyne", starfruit publications, Fürth, 384 Seiten, 28 Euro. Die Ausstellung im Kunsthaus, Königstraße 93, läuft bis 22. November.

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