Damals in der DDR: Wolf Biermann wird 75

15.11.2011, 00:00 Uhr
Damals in der DDR: Wolf Biermann wird 75

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Heute, hierzulande, nennt man solche Haltung „alternativlos“; damals, drüben, war sie noch nicht linientreu genug: Im ersten Vers des ersten Lieds, damals, im Oktober 1976 in der Kölner Sporthalle, ging Wolf Biermann seiner DDR noch fast ums Maul: „So oder so die Erde wird rot.“ So ging der erste Vers im ersten Lied des legendären Konzerts. Das klang nur nach Alternativen, denn die zweite, „totrot“, war gar keine. Es gab nur „lebensrot“ als Möglichkeit. Es half ihm nichts: Er wurde ausgebürgert.

Es klingt paradox, vor allem wenn man weiß, wie sehr den Sozialisten Biermann damals dieser Rauswurf traf: Aber damals war er auf dem Höhepunkt seiner politischen Wirkung und, da er erstmals auch ein zeitgleich vorhandenes Publikum hatte, das nach Tausenden zählte, auf dem Höhepunkt seiner Kunst. Von da an ging’s bergab. Erst mit der DDR, die nach den letzten Konvulsionen totenbleich dahinschied, dann mit dem Rest des Ostblocks, schließlich mit dem Rest der alten Welt.

Den Westteil Deutschlands hatte Biermann als Siebzehnjähriger verlassen, um nach dem Schulabschluss im Osten weiterzumachen, weil es, so seine Hoffnung, dort weiter gehen würde als im Westen. Nun bot ihm dieser Westen immerhin Asyl, Heinrich Böll stand ihm bei, wohnen konnte er bei Günter Wallraff. Politisch wie als Künstler blieb er lange unbehaust. Inzwischen wohnt er in Hamburg, der Stadt seiner Geburt. Seit 2007 ist er Ehrenbürger seiner einstigen Wahlheimat Berlin. Der Name seiner alten „Chausseestraße“, seit 1968 auch mit der Hausnummer bekannt als Titel einer Langspielplatte, würdigte schon damals heimlich das Transitorische jeder linken Existenz, als sänge er: Wir sind nur Gast auf Erden. Machen wir das Beste draus!

Nach einem früheren Gastspiel im Westen, 1965 beim Kabarett-Kollegen Wolfgang Neuss, hatte der Dichter und Sänger, der sich in Anlehnung an Brechts „Stücke-Schreiber“ Liedermacher nannte, im Osten Deutschlands Auftritts- und Publikationsverbot.

Mit einem West-Tonbandgerät schnitt er den eigenen Gesang zu Hause mit für eine erste Schallplatte im Westen – und verriet den Genossen von der Stasi auch gleich, woher das Straßenbahngeräusch im Hintergrund der Lieder stammte: Von der Chausseestraße 131. Und als sie daraufhin einen 20-Punkte-Plan zur „Zersetzung“ Biermanns entwickelten, legte er sich im Auto den „Stasi-Stil“ zu, fuhr entweder zu schnell oder schlich nur dahin: Wer es ihm nachtat, war ein Spitzel.

„Memfis-Fanclub-Blues“

Das letzte Lied, das er im Osten schrieb, nach dem Reiseantrag für Köln, wo er es jedoch bewusst nicht präsentierte, war der „Jenaer-Memfis-Fanclub-Blues“ – eine böse Hommage an den ebenso geheimen wie unheimlichen „Fanclub“ beim „Memfis“, MfS: Ministerium für Staatssicherheit, zusammengesetzt aus zehn Autokennzeichen seiner Bewacher.

Damit endete der Selbstversuch in freiheitlichem Sozialismus am eigenen Leibe. Der öffentliche Appell, die Zwangsmaßnahme gegen Biermann aufzuheben, trennte in der DDR die Unterzeichner von den Linientreuen wie den Weizen von der Spreu. Noch einmal wurde der Druck erhöht, es gab Verhaftungen, Abschiebungen, Ausreisen. 1979, wieder in Köln, konnte Biermann bei einem Auftritt in der Universität berichten, dass der bekannteste Dissident, Rudolf Bahro, unterwegs sei in den Westen.

Was wäre wohl gewesen, wenn sie ihn hätten singen lassen? Nicht nur die Schulbuch-„Ballade vom Briefträger William S. Moore aus Baltimore“, also beim Klassenfeind, und nicht nur die vom höchst virilen „Traktoristen Kalle aus Prenzlau mitm steifn Bein“, sondern auch die nachdenklicheren Lieder, die maßvoll hedonistischen vom Leben einer „Hundeblume in der Regenpfütze“ („Bilanzballade im dreißigsten Jahr“) und vom Sex im Sozialismus, wobei der noch („Von mir und meiner Dicken in den Fichten“) den „Schritt vom Wege“ zur Bedingung hatte.

Einen authentischeren, lebensfroheren Werber für die Sache des Sozialismus hätten die grauen Männer vom Politbüro nicht finden können. Er hätte sich wohl mit den „Zuckererbsen“ begnügt, die Heine im „Wintermärchen“ versprochen hatte.

Aber dann hätten sie auch gewärtigen müssen, dass er in eiernder Linientreue, mit leierndem Gesang auch von den totalitären Zuständen „In China hinter der Mauer“ gesungen hätte. Und dass wohl jedermann verstanden hätte, dass hier, auch ohne dass der Name je gefallen wäre, eigentlich ein anderes Land hinter einer anderen Mauer gemeint war.

Die DDR, die Biermann auf den Schild des Troubadix gehoben hätte, wäre eine andere gewesen, als sie war. Noch 18 Jahre nach dem Fall der Mauer verweigerte die Linke in Berlin, die damals noch der Schwanz am Hund der SPD war, ihre Zustimmung zur Ehrenbürgerwürde für den frohgemuten Renegaten.

Zur Begründung nannten sie beinahe China hinter der Mauer, nämlich seine Haltung zum Irakkrieg, doch die Gründe waren 1967 schon bekannt und handelten auch diesmal von anderen Gemäuern: „Gott weiß: es gibt Schöneres / als grad eure Schnauzen“, so die letzten Verse der „Stasi-Ballade“: „Schönre Löcher gibt es auch / als das Loch von Bautzen“. Das, jedenfalls, ist ihm erspart geblieben.
 

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