Das Sozialdrama "Die Wütenden"

22.1.2020, 19:26 Uhr
Damien Bonnard, Alexis Manenti und Djibril Zonga (v. links) als Cops im Pariser Viertel Montfermeil.

© Foto: Wild Bunch Damien Bonnard, Alexis Manenti und Djibril Zonga (v. links) als Cops im Pariser Viertel Montfermeil.

Dass Paris ein echtes Problem in seinen vielfach von Zuwandererfamilien bewohnten Randzonen hat, ist spätestens seit den gewalttätigen Unruhen von 2005 bekannt. Die Ausschreitungen waren geprägt von Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei, unzählige Autos wurden in Brand gesetzt. Die Wut der aufbegehrenden jungen Menschen speiste sich durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit genauso wie durch Resignation und fehlende Integration.

Brennpunkte sind die Banlieues der französischen Hauptstadt noch immer. Und genau davon handelt Ladj Lys Sozialdrama "Die Wütenden", das unter dem Original-Titel "Les Misérables" für Frankreich ins Rennen um den Oscar geht. Nicht umsonst erinnert der Titel an den berühmten gleichnamigen Roman, den Victor Hugo 1862 in dem damaligen Dorf Montfermeil schrieb. Heute ist Montfermeil ein von sozialen Problemen geprägtes, ramponiertes Pariser Randviertel, aus dem Filmemacher Ly selbst stammt – und in dem er "Die Wütenden" spielen lässt.

Ein modernes Remake des Klassikers ist der Film nicht. Er erzählt eine eigene aufwühlende und durchgehend unter Strom stehende Geschichte von arabischen und afrikanischen Communities, die um Macht und Kontrolle über das Quartier kämpfen – und auch die Polizei mischt mit. Ly hat sein Drama intelligent angelegt: Motor der Geschichte ist der Polizist Stéphane Ruiz (Damien Bonnard), der als Neuling ins Team des cholerischen Chris (Alexis Manenti) und des cooleren Gwada (Djibril Zonga) stößt. Bevor er mitten in die soziale Hölle hineingezogen wird, beobachtet er ungläubig die allseits von Gewalt und Aggression geprägte Szenerie.

Beobachter ist auch ein schwarzer Junge, der das Viertel mit seiner Drohne überfliegt. Der Wechsel zwischen deren ruhiger, distanzierter Perspektive und der unmittelbaren Nähe zum Geschehen bestimmen Tempo und Rhythmus des Films.

In der Grauzone von eigenen Gesetzen und halblegalen Deals ist jeder sich selbst der Nächste und vor allem die Cops sind oft mit den Nerven zu Fuß. Als das Löwenbaby einer gewaltbereiten Zirkus-Gang verschwindet, wird der Druck im Kessel gefährlich hoch, und schließlich gerät die Situation völlig außer Kontrolle. . .

Selbst wenn Ladj Ly mit einigen Klischees arbeitet und Konflikte zuspitzt, steht er seinen Protagonisten wertfrei gegenüber. Empathie zeigt er vor allem am Ende mit kurzen Einzelporträts. Trotzdem bleibt "Die Wütenden" ein beinharter Film, den manch ein deutscher oder amerikanischer Regisseur womöglich mit einer Lovestory gemildert hätte. Ly zeigt lieber kompromisslos die brisante Situation einer abgehängten Gesellschaft, die der Staat zu lang allein gelassen hat. (102 Min.)

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