"Das Vorspiel" mit Nina Hoss

23.1.2020, 17:39 Uhr

© Port au Prince

Jurys sind ein undankbares Geschäft. Menschen zu bewerten, die jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet haben, vielleicht all ihre Energie in ihren Traum investiert haben – wie arrogant ist es da, nach wenigen Augenblicken mitten im Vortrag abzubrechen und zu sagen „Vielen Dank, warten Sie bitte draußen“? Aber so läuft das – weil die, die im Thema sind und bewerten sollen, so viel gesehen haben, dass sie schon nach den ersten zwanzig Sekunden beurteilen können, ob er oder sie es hat oder nicht – oder es zumindest meinen . . .
Mit so einer Schlüsselszene beginnt das Drama „Das Vorspiel“: Beim Aufnahmetest an einem Berliner Musikgymnasium kommt auch der junge Alexander (Ilja Monti) nicht sehr weit mit seinem Vortrag. Im Gegensatz zu ihren Jury-Kollegen ist Anna Bronsky (Nina Hoss) jedoch vom Talent des scheuen Geigers überzeugt – und setzt durch, dass er aufgenommen wird. Im Einzelunterricht treibt sie ihn fortan rücksichtslos zu Höchstleistungen an – auch, um der Welt zu zeigen, dass sie den richtigen Riecher hatte. Alexander ist fleißig, doch es genügt nie.
So sehr Anna ihren Schüler auch triezt – immer, wenn Alexander zu spielen beginnt und die Kamera auf das Gesicht von Anna hält, geht hinter der scheinbar regungslosen Fassade der Geigenlehrerin etwas vor. Sieht nur sie etwas in dem stillen, unschuldigen Jungen, der so gehetzt spielt? Warum investiert sie so viel Energie in ihn und interessiert sich nicht für ihren eigenen Sohn Jonas, ebenfalls ein talentierter Geiger, den es jedoch zum Eishockey zieht? Und warum mag sie selbst nicht mehr auf der Bühne stehen?
In seiner Kühle und Distanziertheit ist „Das Vorspiel“ sehr deutsch und kommt prompt auch ohne finale Auflösung aus. Das Drehbuch ist pointiert, die bisweilen bitteren Dialoge sind geschliffen, die Schauspieler agieren exzellent. Fein skizziert Regisseurin Ina Weisse Annes Ehe, in der noch geredet und miteinander geschlafen wird, durch die sich aber auch schon merkliche Risse ziehen. Was an Anna liegt, deren Leben längst sauber in eine Sackgasse gelaufen ist. Wie alle Menschen ist auch diese getriebene Frau nur das Produkt von Erziehung, Erfahrungen, Kränkungen und Entscheidungen – und läuft bei ihrem Streben nach Perfektion in allen Lebenslagen sehenden Auges heiß.
Thematisch geht es in diesem destruktiven Drama viel um Träume und den Weg dorthin, um Fleiß und Ehrgeiz und um den Respekt, der zwischen diesen Disziplinen gerne unter die Räder kommt. Dazwischen: Immer wieder ellenlange, intensive Musiksequenzen, in denen die Spannung spürbar wird, ein wenig so wie in dem furiosen Jazz-Drama „Whiplash“. Sehenswert. (99 Min.) 

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