Der alltägliche Wahnsinn

17.11.2019, 08:31 Uhr
Der alltägliche Wahnsinn

© Foto: Ingo Pertramer/PR

W as Schauspieler können, können Musiker schon lange, also veröffentlichte Thees Uhlmann kürzlich seinen Debütroman "Sophie, der Tod und ich" und las das Märchen "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein" für ein Hörbuch ein. Ferner packte er bei "Band Aid 30 Germany" mit an und half auf Olli Schulz’ vorletztem Soloalbum "Feelings aus der Asche" in einem Song aus. Aber das ist ja schon mehr sein Kerngeschäft. Ein Freundschaftsbüchlein über die Toten Hosen schrieb er auch noch. Und sonst so?

Sechs Jahre sind vergangen, seit seine letzte eigene Musik veröffentlicht wurde, in der Zeit hat sich der mittlerweile 45-Jährige mächtig über Brexit, Trump, AfD aufgeregt und, Täterätä!, sich rechtzeitig an neuen Songs versucht, sie aber alle wieder in die Tonne gekloppt, so unzufrieden war er mit sich und der Welt.

Es hat gedauert, bis etwas Gescheites entstand, und so sind die zwölf neuen Songs des dritten Solowerks auch als kleiner Neustart zu verstehen. Neue Sichtweise, neue Musiker, neue Produzenten, neuer Sound, neue Herangehensweise beim Albumtitel (statt sachlicher Reduktion wie bei "Thees Uhlmann" und "#2" nun sachliche Opulenz mit "Junkies und Scientologen".

Natürlich bleibt sich Uhlmann, früher mal Frontmann der Emo-Band Tomte, bei allen Veränderungen treu: Er bleibt der hemdsärmelige Arbeiter, der für redliches, souveränes Handwerk steht und immer noch Bier statt Champagner trinkt, wie im letzten Song angemerkt wird. Ein grundsympathischer Typ eben, der sich interessiert fürs Leben (auch das anderer), der Gefühle zeigt, für Überzeugungen einsteht, voller Zweifel ist und auch voller Enthusiasmus.

Er gesteht sich mutig das Scheitern ein, auch wenn es wie im Opener verdammt weh tut: "Ich habe alles versucht, es hat nicht gereicht", und er zur Einsicht kommt: "Menschen wie ich bleiben besser allein". Weil er das so beherzt und entschlossen vorträgt mit knackiger Instrumentierung, müssen wir uns wohl nicht ganz so große Sorgen machen.

Die Angst als Begleiter

Hinfallen und Aufstehen – so läuft es halt, das Leben, das Uhlmann aus verschiedenen Blickwinkeln beobachtet. In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auf dem Land und in der Stadt, im Ausland und im Kiez, als Frau (im HipHop) oder Mann (im Eigenheim mit Familie). Die Angst ist ein ständiger Begleiter, nicht nur in der Stephen-King-Hommage "Danke für die Angst" oder der Abschiedsballade "Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt".

Obendrein macht sich Uhlmann Sorgen um Hannover (mit melancholischem Pop) und Kate Perry (mit aggressivem Punk). Hoffnung gibt es für alle, nur nicht für Avicii, den schwedischen Techno-DJ-Star, der mit 28 tragisch zu Tode kam. "Eine gute letzte Reise" wird ihm gewünscht, und während sich die Stimme hier und da überschlägt, untermauert der Indie-Rock mit lärmenden E-Gitarren und polterndem Schlagzeug den kolossalen Verlust: "Du warst die neuen ABBA". Die forschen Einlassungen, die Avicii oder Perry gewidmet sind, erinnern an Tocotronics frühes Schaffen: dringlicher, rauer Gestus (Uhlmann hat die Band 1999 auf Konzerten als Fan begleitet und davon in einem Tourtagebuch berichtet).

Daran lässt sich ein Trend erkennen zum Weniger-ist-mehr auf dem neuen Album. Es waren zuletzt etwas zu viele Zutaten in einem etwas zu vollendet produzierten Produkt. Uhlmann ist mehr ein Musiker mit rauer Schale und weichem Kern. Da umhüllen spröde, schroffe Klänge seine empathischen, lebensklug verbeulten Verse über den täglichen Wahnsinn im Kleinen und Großen.

Das Warten auf "Junkies und Scientologen" hat sich gelohnt, auch weil die neuen Songs im Umgang mit den Konstanten Liebe, Tod, Hoffnung, Trauer, Wut, Einsamkeit, Angst, Schmerz immer wieder zu überraschen wissen. Zum Glück ist dabei nichts von den Toten Hosen abgeschaut, Freundschaft hin oder her.

Aktuelles Album: Thees Uhlmann, "Junkies und Scientologen" (Grand Hotel van Cleef/ Indigo); am 10. Dezember tritt Uhlmann in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen auf.

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