"Die Ärzte" sind zurück: Ein Interview über Pornos und Politik

26.10.2020, 13:43 Uhr
Mit einem Mini-Auftritt eröffneten "Die Ärzte" am 20. Oktober 2020 die "Tagesthemen".  Bei dem ungewöhnlichen Auftritt hat die Berliner Band an die Politik appelliert, in der Corona-Krise die Kulturbranche nicht zu vergessen.

© Screenshot / dpa Mit einem Mini-Auftritt eröffneten "Die Ärzte" am 20. Oktober 2020 die "Tagesthemen".  Bei dem ungewöhnlichen Auftritt hat die Berliner Band an die Politik appelliert, in der Corona-Krise die Kulturbranche nicht zu vergessen.

"Hell" ist Ihr 28. Album in 40 Jahren. Haben Sie darüber gegrübelt, was denn wohl altersgemäßes Musizieren sei?

Bela B Felsenheimer: Ein neues Album ist unsere Entschuldigung dafür, dass wir den Leuten unsere Live-Konzerte zumuten. Ärzte-Platten sollen Kraft haben und nicht nach gut abgehangenem Boogie-Woogie klingen. Es wäre bescheuert, heute noch solche Musik zu machen wie 1984, um zu zeigen, wie jung wir sind. Wir drei sind unser einziges Korrektiv.

"Wichsen ist die beste Medizin" heißt es in dem Song "Ein Lied für jetzt", Ihrem Beitrag zur Covid-19-Pandemie. Lautet so Ihre Verschwörungstheorie?

Farin Urlaub: Wenn du jung bist – oder auch 56 — und gelangweilt alleine zu Hause sitzt, was machst du dann? Du machst die Schuhe sauber!


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Felsenheimer: "Ein Lied für jetzt" war dieser Zeit und Situation geschuldet. Wir wollten die Studioarbeit ein bisschen nach hinten verschieben, bis wir wieder klarer sehen. In der Zwischenzeit habe ich mit Jan telefoniert, aufgelegt und eine Strophe und einen Refrain komponiert. Das habe ich aufgenommen und an ihn geschickt. Zehn Minuten später bekam ich von ihm die zweite Strophe zugemailt. Wichsen und Musik bezieht sich auf die Feststellung, dass der erfolgreiche italienische Pornoseitenbetreiber Pornhub im Lockdown seinen kostenpflichtigen Premiumbereich frei gestellt hat, um ein positives Zeichen zu setzen. Das hat man eigentlich von Politikern erwartet, aber nicht bekommen. Natürlich zielt diese Zeile aber auch darauf, was die Leute eigentlich mit dem vielen Klopapier machen.

Farin Urlaub beim "Taubertal"-Festival im Jahr 2013.

Farin Urlaub beim "Taubertal"-Festival im Jahr 2013. © Hans von Draminski

Hat es Spaß gemacht, den aggressiven Oi!-Punksong "Alle auf Brille" zu schreiben?
Felsenheimer: Ich hatte einen tierischen Spaß dabei. Der Song ist ein Beleg dafür, was der Einzelne in der Band alles anstellt, um die anderen beiden zum Lachen zu bringen. Oi!-Musik ist eine Art Streetpunk mit gegrölten Fussballchören, wie sie zum Teil auch die Toten Hosen zelebrieren.

Urlaub: Aber die Hosen singen ja noch Töne, die man kennt!

Felsenheimer: Ein absurder Song über Hooligans und darüber, wie Gewalt entsteht. Und dass sie sich gegen einen selbst richten kann. Der Text ging aus von einem Albumtitelvorschlag aus dem 1990er Jahren, den wir nie verwendet haben. Das Intro ist original von meinem Demo.

Punks und Musik

"Viel Wut, wenig Liebe" – war das Ihr Leben als junger Mann?

Felsenheimer: Wütend war ich schon, aber ich war nie Teil einer Gruppe, die auf Leute losgegangen ist. Einmal haben wir in Berlin zu dritt einen Teddyboy verprügelt, was mir später sehr leid tat. Der Teddyboy wurde dann ein Freund von mir. Also ging es mir damals primär auch um Liebe, denke ich.


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Welches Problem gab es zwischen Punks und Teddyboys?

Felsenheimer: Es waren zwei gegensätzliche Jugendbewegungen. Die Teddyboys waren aus Sicht der Punks Spießer, weil sie alles gut fanden, was unseren Großeltern gefiel. Sie trugen immer saubere Klamotten. Auch Punks achteten sehr auf ihr Styling, aber sie sahen so aus, als kämen sie gerade aus der Gosse. Als ich 1979 den Film "Quadrophenia" über zwei verfeindete Jugendbewegungen aus den Sechzigern gesehen hatte, gab mir das den Impuls, Punk zu werden. Zu einer Gruppe zu gehören, fühlt sich besser an, wenn es Leute gibt, die gegen dich sind. Natürlich war das albern, und ich hatte mich relativ schnell bei einem The-Damned-Konzert mit einem Teddyboy angefreundet. Er machte mich mit der Musik von Eddie Cochran und Buddy Holly bekannt. Beide sollten einen großen Einfluss auf Die Ärzte ausüben.

Die Jugendbewegungen von heute haben kaum noch etwas mit Musik zu tun.

Urlaub: Heute dient Musik eher als Beschallung. Aber jetzt geht es wieder los, weil unser neues Album rauskommt.

Im Gegensatz zur letzten Platte "auch" (2012), zu der jeder von Ihnen gleich viele Lieder beigesteuert hat, stammen auf dem neuen Album die meisten Songs von Farin Urlaub. Wie haben Sie sich gegen die starke Konkurrenz in der Band durchgesetzt?

Urlaub: Ich habe eine Taktik, die Donald Trumps Ex-Berater Steve Bannon empfohlen hatte: Flute alles mit Scheiße! Weil die anderen sich durch all meine Demos hören mussten, hatten sie am Ende gar keine Lust mehr, mir ihre eigenen Songs vorzuspielen.

"Wir brauchten eine Auszeit"

Wie demokratisch ist die Band Die Ärzte?

Felsenheimer: Als wir wieder zusammengefunden und uns für eine Clubtour entschieden hatten, spürten wir, dass es im Studio gut läuft mit uns. Während dieser ganzen Zeit waren Rod und ich in der Warteschleife, während der Arsch die ganzen Songs geschrieben hat. Jan meinte zu uns: "Ja, ich weiß nicht. Nur, wenn ihr auch wirklich wollt und das Material gut ist". Und als wir uns dann entschieden hatten, ins Studio zu gehen, eröffnete er uns, dass er bereits zwanzig neue Stücke geschrieben hatte.

"Die Ärzte"  Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzales rockten 2016 mit ihrem Song "Stummer Schrei nach Liebe" beim Open-Air "Jamel rockt den Förster - Rock gegen Rechts".

"Die Ärzte"  Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzales rockten 2016 mit ihrem Song "Stummer Schrei nach Liebe" beim Open-Air "Jamel rockt den Förster - Rock gegen Rechts". © Axel Heimken, dpa

Wie schlimm war denn nun eigentlich die Bandkrise?

Rodrigo González: Wir hatten bis 2013 eigentlich alles erledigt, was zu erledigen war. Und dann haben wir die Pausentaste gedrückt und nicht mehr entsperrt. Es bedeutete aber nicht das Ende der Band, sondern wir brauchten eine Auszeit.

Felsenheimer: Wir waren nicht wirklich zufrieden mit dem damals aktuellen Album und der Tour. Wir haben uns aber nicht gehasst, sondern Anteil genommen an den jeweiligen Aktivitäten der anderen. Ich weiß von Bands, deren Mitglieder nicht im selben Hotel wohnen können und sich auf der Bühne nicht angucken. Und trotzdem funktionieren sie weiter, weil sie auf diese Weise ihr Geld verdienen. So war es bei uns nicht mal in den schlechtesten Momenten.

Urlaub: Was bei uns als "es läuft nicht gut" gilt, gilt bei anderen Bands als "ihr versteht euch ja immer noch". Wir hatten trotzdem noch Spaß zusammen, aber es war nicht so wie jetzt.

Beliebtheit und verkaufte Gitarren

2013 und 2017 gemacht?

Urlaub: Mich extrem zurückgezogen. Ich hatte dann noch eine Runde mit meinem Racing Team gedreht – mit dem Hintergedanken, dass ich nicht so aufhören will, wie ich die letzten Ärzte- Konzerte 2013 empfunden hatte. Aber ich habe fast alle meine Gitarren verkauft.

Wie kommt man zu solch einer endgültigen Entscheidung?

Urlaub: Als wir vor zwei Jahren wieder Interviews gaben, hatte Rod das Gefühl, dass wir noch eine Platte in uns tragen. Ausgerechnet Rod, der sonst nie etwas Positives sagt! Bela hat uns dann zu seinem Auftritt bei einem Anti-Nazifestival in Jamel eingeladen. Auf der Hin- und Rückfahrt unterhielten Rod und ich uns intensiv über die Beatles. Da habe ich gemerkt, dass die beiden für mich wie Punk-Brothers sind.

Rodrigo González beim "Taubertal"-Festival 2013.

Rodrigo González beim "Taubertal"-Festival 2013. © Hans von Draminski

Haben Sie sich dann Ihre Gitarren wieder zurückgekauft?

Urlaub: Nein, die Haupt-Live-Gitarre hatte ich noch. Sie ist auf der neuen Platte zu hören.

Felsenheimer: Als wir drei in Jamel "Schrei nach Liebe" spielten, konnte man uns gar nicht hören, weil das Publikum so ausgerastet ist. Zumindest um eine Sache mussten wir uns keine Sorgen machen: nämlich um unsere Beliebtheit.

Sie stehen als Musiker und Privatpersonen für eine offene, tolerante und liberale Gesellschaft. Können Sie die Gegenwart nur ertragen, indem Sie darüber Songs schreiben?

Urlaub: Meine persönliche Wahrnehmung und das Medienecho differieren sehr stark. Ich wohne in Brandenburg, dort sind mir nicht die ganze Zeit Reichsbürger auf den Fersen. Ja, es gibt sie, aber die Medien geben denen viel zu viel Aufmerksamkeit. Für mich sind Reichsbürger eine Art Scheinriesen. Ich bin eher entsetzt, dass ausgerechnet in Deutschland wieder Leute sagen: "Früher war nicht alles schlecht". Ich dachte immer, das hätten wir mittlerweile verstanden. Ich hoffe, mit diesem Album dazu beizutragen, dass ich nicht über Emigration nachdenken muss.

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