Die Irrfahrt der St. Louis

19.10.2019, 16:20 Uhr
Die Irrfahrt der St. Louis

© Foto: David Dollmann/NDR/ARD

An Bord war auch eine Familie aus Franken: Leon Joel, der in Ansbach eine Wäschegeschäft betrieben hatte, mit seiner Frau und seinem zehnjährigen Sohn – Nummer 385 bis 387 auf der Passagierliste. Leon Joel war der Bruder des Nürnberger Versandunternehmers Karl Amson Joel, dem Großvater des amerikanischen Rockstars Billy Joel.

Zeitzeugen erinnern sich

Die Joels spielen keine Rolle in dem aufwändig produzierten und spannenden Doku-Drama "Die Ungewollten", aber das ändert nichts an der Qualität des Fernsehfilms von Ben von Grafenstein. Er hat tatsächlich noch Zeitzeugen aufgetrieben, die das Drama auf der "St. Louis" selbst erlebt haben. Ihre Erinnerungen sowie beeindruckendes Archivmaterial verleihen dem Film beklemmende Authentizität. Das Drehbuch basiert auf dem Tagebuch des Kapitäns Gustav Schröder, der sich selbstlos für seine jüdischen Passagiere einsetzte. Schröder ist die zentrale Figur des Films; Ulrich Noethen spielt die Rolle dieses Ehrenmannes, der zwischen Pflichtbewusstsein und Mitgefühl hin und hergerissen ist, mit spröder Zurückhaltung.

Die Irrfahrt der "St. Louis" war schon des öfteren Thema von Filmen und Büchern (darunter der Roman "Ketzer" des kubanischen Schriftstellers Leonardo Padura und der amerikanische Spielfilm "Die Reise der Verdammten"), ist aber dennoch weitgehend in Vergessenheit geraten.

Interessant ist der Perspektivwechsel 80 Jahre nach den historischen Ereignissen: Sowohl der neue TV-Film als auch ein neues Sachbuch rücken nicht die Opfer, sondern den Kapitän in den Mittelpunkt und zeigen ihn als guten Deutschen in finsteren Zeiten. Tatsächlich ist Gustav Schröder für seinen Einsatz nach dem Krieg in Israel als "Gerechter unter den Völkern" geehrt und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

Der Kapitän wollte das Schlimmste verhindern, nachdem die "St. Louis" im Mai 1939 nicht wie geplant im Hafen von Havanna anlegen durfte. Die kubanischen Behörden erkannten die Einreise-Dokumente der jüdischen Flüchtlinge nicht an, die dafür viel Geld gezahlt hatten. Hintergründe waren Streitereien innerhalb der kubanischen Regierung und die antisemitische Stimmung auf Kuba, das schon viele Flüchtlinge aus Europa aufgenommen hatte.

Reise in den Tod

Kapitän Schröder verhandelte vergeblich mit den Kubanern und suchte nach einem Ausweg. Denn ihm war ebenso klar wie seinen jüdischen Passagieren, dass eine Rückkehr nach Deutschland eine Reise in den sicheren Tod bedeutet hätte. Auf dem Schiff spielten sich verzweifelte Szene ab: Menschen sprangen über Bord, wählten den Freitod.

Auch die Amerikaner stellten sich stur – trotz internationaler Hilfsappelle an US-Präsident Roosevelt. Die Regierung befürchtete, die große Zahl von Flüchtlingen aus Europa gefährde die angeschlagene heimische Wirtschaft. Schließlich befolgte Kapitän Schröder die Order der Reederei HAPAG und trat die Rückreise an. Buchstäblich in letzter Minute hatten seine Hilferufe doch noch Erfolg: Belgien, Holland, England und Frankreich erklärten sich bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen.

Zwei Drittel der jüdischen Passagiere haben Dank des mutigen Kapitäns die Zeit der Nazi-Diktatur überlebt. Leon Joel und seine Frau gehören nicht dazu. Sie wurden in französischen Flüchtlingslagern interniert, bevor sie 1942 von Paris nach Auschwitz deportiert wurden. Dort verliert sich ihre Spur.

Jetzt setzt ihre Heimatstadt ein kleines Zeichen: Am 6. November verlegt der Künstler Günter Demnig in Ansbach Stolpersteine zur Erinnerung an die Familie Joel. In der Nürnberger Straße, vor ihrem ehemaligen Geschäftshaus.

Info: Das TV-Doku-Drama "Die Ungewollten" läuft am 21. Oktober, 20.15 Uhr, im Ersten.

Aktuelles Buch: Kapitän Schröder und die Irrfahrt der St. Louis. Herausgegeben von Lipsky/Uhlig/Glaevecke. Mittler in Maximilian Verlag. 160 Seiten, 19,95 Euro.

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