Die Tür steht offen, doch es gibt keinen Ausweg

5.10.2019, 11:59 Uhr
Die Tür steht offen, doch es gibt keinen Ausweg

© Foto: Konrad Fersterer/Staatstheater

Die ziemlich gut gedachte Bühne von Maximilian Hartinger ist ein Käfig. Offen nach allen Seiten zwar und doch ein Ort, an dem man klaustrophobische Zustände bekommen kann, zeigt sie an der Rückseite des Gestänges eine elektronische Uhr. Sekunde für Sekunde kann man hier die Zeit beim Vergehen ablesen: von 22.45 Uhr bis null Uhr, gnadenlos. Und manchmal zittert diese Zeit. Als wollte sie stehen bleiben, rückwärts gehen, vielleicht auch davonrennen, das alles hier beenden.

Hartinger hat dem Stück "Heilig Abend" von Daniel Kehlmann, das Mirjam Loibl jetzt in der 3. Etage des Nürnberger Schauspielhauses inszenierte, einen Kammerspiel-Rahmen gegeben, der perfide ist und irritiert. Denn die zwei Schauspieler, die darin agieren, sind ebenso die Eingeschlossenen wie auch die Freien, ihnen steht es offen zu gehen und es gibt doch keinen Ausweg für sie. Ein Ermittler und eine Verdächtige sind für eine festgelegte Zeitspanne aneinander gebunden, liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel, an dessen Ende möglicherweise die Katastrophe steht – oder die Erlösung. Die beiden werden sich 85 Minuten lang umkreisen, sich provozieren, werden einlenken und doch schließlich von ihren Standpunkten nicht abrücken.

Der nervöse Staat und der verdächtigte Bürger: das Thema des Daniel Kehlmann, das er anhand eines Verhörs durchexerziert, ist reizvoll. Thomas verkörpert die Macht, Judith die Bedrohung: hat sie einen Anschlag geplant? Sie wurde ausspioniert, die Indizien sprechen gegen sie; es könnte alles aber auch nur pure Theorie sein. Ihre linken Thesen, ihr Engagement gegen Machtmissbrauch, Unterdrückung und Ausbeutung, reichen den Behörden, um sie abzustempeln als potentielle Täterin. Sie wehrt sich klug und wortreich gegen Überwachung und den Eingriff in ihre Privatsphäre; er muss einen Erfolg vorweisen können, damit sich die Verhaftung nicht als Schuss in den Ofen herausstellt: "Wir lassen uns nicht gerne Paranoia vorwerfen."

Leider bleibt Kehlmanns Text an der Oberfläche haften, reiht Argument klischeetreu an Argument, wirkt wirklichkeitsfern, wenn er eine komplexe gesellschaftliche Diskussion zum Pingpong-Schlagabtausch mit privaten Problemeinsprängseln verknappt. Er führt nicht zwei Menschen vor, sondern nur zwei ziemlich simpel gestrickte Stichwortgeber (böser Polizist und taffe Intellektuelle), denen der High-Noon-Effekt im Nacken sitzt: bis Mitternacht (ausgerechnet am Weihnachtsabend!) muss bei klar sein, ob die Welt aus den Angeln fällt oder gerettet wird. Das wenig überraschende Ende sei hier nicht verraten...

Für die Schwächen des Stücks können weder Regisseurin Loibl noch die beiden Schauspieler Adeline Schebesch und Thomas Nunner etwas. Sie machen ihre Sache gut im Rahmen der zweifelhaften Vorgabe. Bei Nunner liegen die Nerven blank, leicht konfus versucht er sein Opfer des Zufalls in die Enge zu treiben und scheitert doch stets, weil er als Ausübender der Macht auch die Wackligkeit seiner Argumentation, die Zweifelhaftigkeit seiner Aktion begreift und nicht eingestehen kann. Schebesch bleibt gefasst, ein wenig elitär gar, hat sich im Griff: ihre Angst versteckt sie hinter ihrer Gesinnung, die ihr auch noch gut und logisch erscheint, wenn ihr der Ausweg aus ihrer Situation versperrt wird. Mirjam Loibl arrangiert die zwei mit kühler Raffinesse wie die letzten Figuren auf einem Spielfeld, die genau wissen, dass eine(r) von beiden gleich fliegt.

Eine solide Leistung, die freilich dem Theater etwas aufbürdet, was es nicht vollbringen kann: die Fragen, die sich aktuell angesichts des Umgangs einer Staatsmacht mit terroristischer Bedrohung ergeben, bleiben hier nur angedeutet und ungelöst.

InfoNächste Vorstellung am 6. Oktober, Karten in den Geschäftsstellen dieser Zeitung, Telefon 09 11/2 16-27 77.

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